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Meinung: Keine Reisezeit

Von Gerd Nowakowski Schaut auf diese Stadt! Die Welt wird es tun am 22.

Von Gerd Nowakowski

Schaut auf diese Stadt! Die Welt wird es tun am 22. Mai, wenn US-Präsident George W. Bush Berlin besucht. Und der Regierende Bürgermeister Wowereit? Der schaut auch auf seine Stadt: in Australien im Fernsehen. Kaum vorstellbar? Eben. Dennoch versucht der angeblich so sensible Regierende Bürgermeister der Stadt – und dem Rest der Republik – klarzumachen, dass dies das Normalste von der Welt ist. Nun gilt allerdings eines: Besuche von US-Präsidenten sind nie das Normalste von der Welt, sondern herausragende Staatsakte, bei der die amerikanische Öffentlichkeit sehr genau die Reaktion seiner Verbündeten registriert.

Berlin ist kein gewöhnlicher Ort, so wie das Verhältnis zwischen Berlin und Washington immer besonderer Natur war. Für die Berliner bleibt unvergesslich, dass es die Amerikaner waren, die 40 Jahre lang hier Freiheit garantierten. Am Brandenburger Tor verlangte 1987 der US-Präsident Ronald Reagan von Gorbatschow, die Mauer nieder zu reißen. Damals stand Eberhard Diepgen neben ihm. Die Einheit Deutschlands hat die herausragende Rolle der Regierenden Bürgermeister, die sie seit Ernst Reuter hatten, verändert. Jetzt ist der Regierende Bürgermeister nicht mehr Gesprächspartner der US-Regierungschefs, sondern: ein ganz normaler Bürgermeister. Das ist der Preis der Einheit. Klagen kann darüber keiner.

Das Verhältnis zu den Amerikanern hat sich normalisiert – dass die Beziehungen zu Washington der Berliner Landesregierung gleichgültig sind, dieser Eindruck aber darf nicht aufkommen. Da mag die Senatskanzlei noch so sehr auf die Pflichten des Bundesratspräsidenten hinweisen und darauf, dass Bush nur zu einem knapp eintägigen Arbeitsbesuch in die Stadt kommt. Belanglos ist auch, dass es beim Besuch von US-Präsident Bill Clinton im Juni 2000 ebenfalls zu keiner persönlicher Begegnung mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diegpen kam. Wowereits Platz müsste an diesem Tag in Berlin sein, nirgends sonst.

Seiner Rolle als Bundesratspräsident dient Wowereit ebenfalls besser, wenn er als zweithöchste Repräsentant der Bundesrepublik nicht in Australien weilt, sondern im Berliner Reichstag anwesend ist, wenn Präsident Bush vor dem Bundestag spricht. Vor allem aber hat Wowereit in seiner Stadt zu sein, weil Berlin mit einer Vielzahl von Demonstrationen im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit steht. Für die Polizei ist jeder Besuch eines US-Präsidenten ein Ausnahmefall; dieser wird es in besonderer Weise sein. Entspannt zu einem überraschenden Besuch in einem Restaurant am Kollwitz-Platz aufzutauchen, wie es Schröder und Clinton taten, wird diesmal nicht gehen. George W. Bush polarisiert mit seiner Politik, die Protestaufrufe sind nahezu unüberschaubar: Kritiker der Nahostpolitik über Globalisierungsgegner bis zu den Autonomen machen mobil.

Deeskalation wie am 1. Mai ist an diesem Tag nicht angesagt. Die US-Geheimdienstler werden registrieren, wie ernst der Senat die Sicherheitslage nimmt. Dort hat man auch die Straßenschlacht beim damaligen Besuch von Ronald Reagan nicht vergessen. Will Klaus Wowereit die Verantwortung an diesem Tag einem amtierenden Polizeipräsident auf Abruf oder seinem Innensenator Körting überlassen? Oder gar seinem Stellvertreter Gregor Gysi, dessen PDS selbst zu einem Protestzug gegen den Besuch des US-Präsidenten aufruft?

Wie burschikos der rot-rote Senat mit sensiblen Themen umgeht, das haben die Berliner in den vergangenen 100 Tagen schon einige Male überrascht erleben dürfen. Die deutsch-amerikanische Freundschaft eignet sich in keinem Fall für Instinktlosigkeiten. Berlin bemüht sich seit dem Abzug der Amerikaner, die gewachsenen Beziehungen zu halten und auszubauen. Dafür steht unter anderem die American Academy, dafür steht das neu belebte Aspen-Institut. Freundschaften müssen auch Interessengegensätze vertragen, wie das jetzt abgeschlossene, lange Ringen um eine stadtverträgliche Lösung für den Neubau der US-Botschaft am Pariser Platz. Eines aber verträgt keine Freundschaft: Provokationen. Egal, ob aus Gleichgültigkeit, aus Ungeschick oder Unbedachtheit.

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