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Der Parteivorstand will, dass Sahra Wagenknecht ihr Mandat zurückgibt.

© Imago/Ipon

Keine Zukunft mit Sahra Wagenknecht: Die Linke darf nicht vor Debatten kapitulieren

Die Linke hat keine Lust mehr auf Sahra Wagenknecht. Das mag verständlich sein. Aber es sendet ein fatales Signal in die Gesellschaft.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Sahra Wagenknecht polarisiert. Sie spielt mit Ressentiments, sie zündelt mit ihren Thesen. Sie provoziert ihre eigene Partei. Und ja, sie ist eine politische Populistin. Das ist alles richtig. Das ist auch zu kritisieren. Gerade ihre Ansichten zum Krieg in der Ukraine und zum Umgang mit Russland sind falsch. An einigen Stellen verantwortungslos. Aber ist es richtig von den Linken, sie faktisch auszuschließen?

Die Linke ist kurz davor, sich selbst abzuschaffen. Denn bei aller berechtigten Kritik an Wagenknecht und ihrem Kurs muss es geradezu die Aufgabe einer linken Partei sein, Strömungen, die es in unserer Gesellschaft, auch im linken Spektrum, nun mal gibt, auch aufzufangen. Der Parteivorstand der Linken gibt stattdessen lieber auf.

Das Signal, das die Linke mit ihrem Vorstandsbeschluss sendet, ist fatal. Es sendet an diejenigen, die vielleicht Sorgen vor einigen Klimamaßnahmen haben, die vielleicht auch eine andere Meinung zur Russland-Politik haben oder die anders über eine zum Glück einsetzende gesellschaftliche Liberalisierung haben, das Signal: Ihr gehört nicht dazu. Ihr habt keinen Platz.

Das Feld wird den Ultra-Rechten überlassen

Natürlich gibt es, das muss man sich eingestehen, Teile der Gesellschaft, die, wenn überhaupt, nur noch schwierig argumentativ erreicht werden. Doch ist das die Minderheit. Immer noch. Die Linke muss versuchen, den erreichbaren Teil zu adressieren, ihn argumentativ, inhaltlich zu überzeugen – um ihn auf dem Boden des Grundgesetzes und im Diskurs zu halten.

Die Gefahr liegt darin, dass andernfalls das Terrain Extremen überlassen wird. Die hören (auch) nicht zu, diskutieren noch weniger, liefern dafür aber mundgerecht Antworten. Das kann schwerwiegende Folgen für die Statik unserer Demokratie haben.

Doch die Linke hat ganz aufgehört zu debattieren – sie urteilt nur noch. Und wenn gestritten wird, dann über die Frage: Sind Wagenknechts Ansichten politisch opportun? Darf sie das?

Nein, einiges ist nicht opportun, auch falsch. Aber sie darf das. Die Linke muss akzeptieren, dass ihre Wählerinnen und Wähler nicht mehr nur Hartz IV als Sorge vor Augen haben.

Die Linke kapituliert vor neuen Ängsten

Zumal das Selbstbild der Linken europaweit ein anderes ist: Progressiv will man sein, dem Fortschritt zugetan. Das stimmt auch - in Teilen. Ein paar linke, vor allem sozialdemokratische Parteien waren das immerhin.

Aber Ultra-Linke? War da Fortschritt immer das Maß der Dinge? Sie waren eher Adressaten für Unmut, und besonders für diejenigen mit Fortschrittsängsten. Die Linke in Deutschland speziell; schon bei der Gründung: Ängste haben sie zu Wahlerfolgen geführt.

Die Angst, zu den Wiedervereinigungs-Verlierern zu gehören, trieb die damalige PDS an. Sie hatte die zweifelhafte Kraft, alte SED-Kader zu integrieren. Bis heute wird darüber mehr geschwiegen als aufgeklärt. Es folgten die Hartz-Ängste, die sie aufnahm und mit denen sie groß wurde.

Die Linken-Vorsitzenden Janine Wissler (r) und Martin Schirdewan (l).

© dpa/Carsten Koall

Vor den neuen Ängsten kapituliert die Linke. Weil es Ängste sind, die nicht ins eigene politische Raster zu passen scheinen. Und Profiteure sind die Ultra-Rechten der AfD. Rechts vor links – das kann kein Linker wollen. Schon gar nicht zulassen.

Wenn die Linke Wagenknecht jetzt das letzte Argument zur Gründung einer eigenen Partei liefert, wird das deutsche Parteiensystem weiter fragmentiert. Und die Balance geht verloren.

Die Linke sollte jetzt nicht dem Gedanken erliegen, dass Wagenknecht nur rhetorisch gut sei, aber nichts organisieren könne. Das mag vielleicht sogar stimmen, für sie. Doch Wagenknecht wird in der Lage sein, Politiker um sich zu scharen, die organisieren können, Kampagne und Wahlkampf auch.

Am Ende reicht es, wenn diese neue Partei der Linken drei, vier Prozent abnähme – damit wäre die Linke nach den aktuellen Umfragen im politischen Nirwana. Schon jetzt sitzt sie nur wegen dreier Direktmandate noch im Bundestag.

Die Stärke der deutschen Demokratie war aber immer auch die Bindungskraft politischer Parteien. Die wird geschwächt. Mal um Mal. Erst spalteten sich die Grünen von der SPD, dann die Linke von der SPD, die AfD ein Stück von Linken und CSU/CDU.

Wenn jetzt noch Wagenknecht käme oder sich demnächst vielleicht außerdem eine radikale Klimapartei von den Grünen abspalten sollte, würde das Parteiensystem weiter und weiter aufgefächert.

Ist das schlecht? Es führt langfristig zu Instabilität: durch wackelige und sich selbst blockierende Vielparteien-Koalitionen. Und das würde die Ränder statt die Mitte stärken; denn jede Partei müsste immer lauter werden, um sich Gehör zu verschaffen. Sie müsste noch stärker polarisieren, um Stimmen zu gewinnen. Das aber ist am Ende das Gegenteil von gesellschaftlicher Integrationskraft, von Bindung – das ist der Weg in die Spaltung der Gesellschaft.

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