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Meinung: Koalition, dein Name ist Blockade

Garantiert ruckfreie Zone: Deutschland wäre besser dran ohne die schwarz-rote Regierung. Plädoyer für ein Ende mit Schrecken

Eigentlich war Regieren in Deutschland lange nicht mehr so einfach wie heute. Breite Mehrheiten im Bundestag, noch breitere Mehrheiten im Bundesrat, dazu der nette Herr Bundespräsident, der allenfalls die Privatisierung der Flugsicherung verhindert. Eine FDP, die zwar recht hat, aber leider nicht recht bekommt; Grüne, die sich noch zwischen Roth und Künast, Kuhn und Trittin finden müssen. Und Honeckers Nachfolgeverein PDS, der noch derart viele SED-Leichen mit sich herumschleppt, dass schon viel Gesinnungslosigkeit dazu gehört, mit ihm anzubandeln. Als öffentliche Störer in den Ostländern ein paar tausend Neo-Braune, um die sich Psychologen und Soziologen sorgen und die man leider ungestört marschieren lässt, anstatt zum Schlagstock zu greifen. Dabei sind die Jungnazis weniger eine Bedrohung der Berliner Republik als vielmehr ausländische Investoren abstoßende Investitions-Verhinderer und für Amis und Japaner auch eine echte Touri-Attraktion.

Gewerkschaften? Ja, die gibt es auch noch. Die bellen, aber beißen nicht. Und Arbeitgeberverbände, die angeblich beißen, aber keinen kümmert das. Die Kirchen, früher auch wichtig, leisten sich mit den Gewerkschaften einen Wettlauf im Mitgliederschwund. Äußere Gefahren? Terrorismus, aber das betrifft die ganze Welt. Innere Gefahren? Arbeitslosigkeit, und die ist gerade unter 10 Prozent gesunken.

Himmlische Voraussetzungen eigentlich, um in dieser Zeit erfolgreich zu regieren. So viele Möglichkeiten, anzupacken. Ein Ruck müsse durch Deutschland gehen, hatte Roman Herzog vor Jahren gefordert. Ergebnis: Deutschland ist mittlerweile eine garantiert ruckfreie Zone. Angst beherrscht die Bevölkerung, Freudlosigkeit. Der Sommer, der kein Märchen war, ist vorbei. Geblieben ist kein Gefühl des Aufbruchs. Die Lage ist zwar besser als die Stimmung, aber die Stimmung ist richtig schlecht, weil alle ahnen, dass eigentlich verdammt viel passieren müsste.

Wer ist schuld? Die leichteste und dümmste Begründung kommt von Politikern, die sagen, das Wahlergebnis von 2005 habe die große Koalition erzwungen. Wirklich? Alternativen gab es genug: Minderheitsregierung Schröder, Minderheitsregierung Merkel, Rot-Rot-Grün, Ampel, Schwampel oder Neuwahlen. Diese große Koalition musste keineswegs sein, keinen Tag lang. Aber die Politik ging den leichtesten Weg, weil sie dachte, mit garantierten Mehrheiten lasse sich bequem regieren. Und nun, ein Jahr später, der komplette Frust. Jeder ahnt: Die Installation dieser in sich wesensfremden Koalition ist die Ursache allen Übels. Wenn der eine ständig links ruft und der andere rechts, der eine fortwährend den Staat bemüht und der andere die Privatinitiative, der eine Freiheit fordert und der andere Gerechtigkeit, wenn gegen die Realität der Globalisierung von Teilen des einen Koalitionspartners inzwischen wieder der alte Gedankenmüll von Karl Marx bemüht wird, wenn sich zwei derart konträre Partner zusammenfinden – was soll da rauskommen? Jeden Tag ist es zu besichtigen: eine verkorkste Gesundheitsreform (Staatsmedizin), eine Steuerpolitik, bei der an jeder Stellschraube eine Kleinigkeit in die eine oder andere Richtung herumgedreht wird, eine Energiepolitik ohne Sinn und Verstand. Als Höhepunkt tritt Wolfgang Clement auf und verlangt von Frau Merkel den Ausstieg aus dem Ausstieg in Sachen Atomkraft. Hätte er doch selbst jahrelang machen können!

Zusammengefasst: Koalition, dein Name ist Blockade. Sie basiert auf einem miserablen Koalitionsvertrag, der übrigens die Unterschrift von Edmund Stoiber trägt, und sie ist ein „gemäßigt sozialdemokratisches“ Programm, wie Gerhard Schröder jüngst genüsslich-zynisch bestätigte. Schade! Mit Teilen der SPD kann man aber auch im Jahre 2006 keine moderne Reformpolitik machen – und das gilt bedauerlicherweise ebenso für Unionspolitiker wie Rüttgers, Laumann oder Seehofer. Sie verkörpern – wie einst Norbert Blüm – die wahre Lebenslüge der Christenmenschen, dass nämlich die Rente sicher ist, der Mensch gut und die Zukunft rosig. Dieser Politik mangelt es an nichts außer an Sachverstand. Und weil nichts vorangeht, wird die Öffentlichkeit mit Floskeln benebelt.

Bei CSU-Generalsekretärs Söder hört sich das so an: Die SPD solle sich nicht ständig hinter Absprachen verstecken. Was will uns Söder damit sagen? Dass Absprachen am Kabinettstisch nichts mehr wert sind? Dass „Verträge nur so lange gelten, wie die Umstände sich nicht geändert haben, unter denen sie geschlossen wurden“? (Mussolini). Oder dass Verträge nicht mal das Papier wert sind, auf dem sie stehen? Der gute alte Franz Josef Strauß, Söders geistiger Mentor, pflegte als gebildeter Lateiner zu sagen: Pacta sunt servanda. Er hätte Söder schon lange in den Hintern getreten.

Man kann sich die Situation am Kabinettstisch in Berlin plastisch vorstellen. Da sitzt Kanzlerin Merkel mit einer Runde von teilweise doppelgesichtigen, doppelzüngigen und sich belauernden Politstrategen, von denen jeder nur eines im Sinn hat: die nächste Wahl gewinnen. Das Wohl Deutschlands und seiner Bürger darf in diesem Kreis durchaus zurücktreten. An diesem Kabinettstisch ist Heimtücke und schleichendes Gift. Danach wird vor den Fernsehkameras daraus dann seifiges Einvernehmen.

Und mittendrin Frau Merkel, die es beiden Seiten recht tun will. Muss – weil sie andernfalls ihren schönen Kanzlerjob an den Nagel hängen kann. 28 Prozent der Wähler würden laut Forsa die Union bei Bundestagswahlen zurzeit wählen (29 Prozent SPD), aber 43 Prozent bekäme die Union im Schnitt bei Landtagswahlen. Diese fehlenden 15 Prozent sind ein persönliches Misstrauensvotum der Bürger gegen die Kanzlerin und ihr Konstrukt. Sie war gestartet als Jeanne d´Arc der neuen Bundesländer, sie hatte im Aufstieg serienweise Glück (Affären Kohl, Schäuble, Koch). Als Oppositionsführerin setzte sie Schröder zu wie die Tigerin von Eschnapur. Sie hielt ihm – zurecht – jede Menge handwerklicher Fehler vor, Versäumnisse, kleine und große Unredlichkeiten. „Versprochen – gebrochen“, das musste sich der selbst ernannte Macher Schröder immer wieder zähneknirschend anhören. Und als sie dann an die Macht kam, weiß Gott wie, war die Hoffnung groß: Jetzt weht ein Rock durch Deutschland.

Ein Jahr später: Frau Merkel führt? Sie führt uns im Kreise herum. Was kann sie noch bewegen? Bestenfalls kann sie verwalten, leider nicht gestalten. Ihr Problem: Sie hat offenkundig keine Idee, kein Thema, von einer Vision ganz zu schweigen. Unterstellt, sie hätte eine – wie wollte sie die mit dieser SPD verwirklichen? Anders gefragt: Wenn man heute 20 Jahre alt wäre, also der Generation K. entstammte – warum sollte man dann die Unionsparteien unter Frau Merkel wählen? Weil sie marktliberal sind? Das ist die FDP. Weil sie sozial sind? Das kann die SPD besser (verkaufen). Wer sich Politiker leistet wie Rüttgers, der auf Marktplätzen gegen die Einstellung von Siemens BenQ wettert und gleichzeitig in aller Stille allein in diesem Jahr mal 10 000 Stellen in der öffentlichen Verwaltung von NRW abwürgt, der muss sich um seine Glaubwürdigkeit keine Sorgen machen.

Und dieser Vorgang liegt ebenfalls im Feld von Frau Merkel, denn sie ist ja auch noch Parteivorsitzende. Aber ob sie überhaupt noch die nächste Kanzlerkandidatin der Union ist (was für viele sonnenklar scheint), liegt in Wirklichkeit derzeit noch tief im Bauch ihrer Partei. Szenario: 2007/2008 gibt es drei wichtige Landtagswahlen, bei denen drei Granden der Union um ihre Mehrheit (und damit um ihre Posten und ihr politisches Überleben) kämpfen: Hessen (Koch), Niedersachsen (Wulff), Bayern (Stoiber). Wenn die Entwicklung so weitergeht und diese drei Kurfürsten ihre Felle davonschwimmen sehen, ist alles möglich, auch das politische Ende der drei. Zyniker werden sagen: Super, so wird Frau Merkel gleich auch noch ihre drei größten Konkurrenten los. Realisten werden sagen: Diese drei Herren mit Stallgeruch haben garantiert nicht vor, die Merkelsuppe auszulöffeln. Zu dritt wird man gegebenenfalls auch Frau Merkel als Kanzlerin los.

Bei der SPD liegen die Dinge klarer. Die Kanzlerkandidatenfrage ist heute schon entschieden. Kurt Beck, den alle (wie einst Helmut Kohl) unterschätzt haben, wird es. Einer zum Knuddeln, zum Liebhaben; einer, der nicht überfordert, der vermutlich nie einen großen Gedanken riskieren wird, aber auch einer, der Wahlen gewinnen kann. In der SPD ist Beck mittlerweile unumstritten die Nummer eins.

Vor allem: Er pflegt die FDP sorgsam. Sein Politikmodell ist deutlich erkennbar: Eine Ampel spätestens 2009 für Berlin. Zwar mag FDP-Chef Westerwelle diese Ampel überhaupt nicht (recht hat er), aber sein Vize Rainer Brüderle wird es ihm schon noch erklären. Wie seltsam die Berliner Wege verlaufen, zeigt das Beispiel Volker Kauder. Der Unions-Fraktionschef duzt mittlerweile den lieben SPD-Kollegen Peter Struck. Den FDP-Kollegen Guido Westerwelle duzt er nicht, warum auch immer. Fest steht allerdings: Auch solche vermeintlichen Petitessen entscheiden politische Bündnisse. Und CDU-Generalsekretär Pofalla und FDP-Chef Westerwelle wohnen in Berlin-Charlottenburg zwar in einem Haus, aber politisch hat das bislang noch zu gar nichts geführt.

Halten wir fest: In dieser Koalition ist Angela Merkel konstitutionell unfähig, Zweck und Ziel vorzugeben und umzusetzen. Richtlinienkompetenz hat sie nicht, und falls doch, nur zweimal, nämlich das erste und das letzte Mal. Das wäre es dann gewesen. Vermutlich weiß Angela Merkel in diesen Tagen nicht, wie sie aus der Falle herauskommen kann. Voraussichtlich nicht heil. Andererseits sind ihr immer wieder überraschende Volten gelungen. Vielleicht hofft sie auf 2007, da wird es ihr zunächst etwas besser gehen. Da wird sie, wie einst Schröder, in die Außenpolitik flüchten dürfen, denn Deutschland steht im ersten Halbjahr 2007 an der Spitze von EU und G 8. Das heißt: viel institutionalisierter Glanz, leider geborgt und noch nicht verdient. Aber das Thema ist auch nicht die Außenpolitik, die ist im Großen und Ganzen in Ordnung.

Wahlen gewinnt oder verliert man im Inland. Der Versuch, den politischen Verkehr in Berlin zu beruhigen, indem man alle Ampeln auf Gelb stellt, kann nicht gelingen. Dieser Stil erinnert an den Versuch, antiautoritäre Erziehung auf Koalition oder Partei zu übertragen, Motto: Jeder darf alles, muss dabei nett sein, wird aber keinesfalls zur Verantwortung gezogen.

Deutschland Ende 2006: Unser Land ist unter den 21 führenden Industrienationen unverändert Schlusslicht bei Beschäftigung und Wirtschaftswachstum. Wir reden über Besitzstände, Reformmüdigkeit, Unterschichten, Kaloriat, die Generation Praktikum, Hartz IV. Das ganze Land riecht mittlerweile nach Wohnküche, einer Mischung aus DDR-CDU und dem SPD-Ortsverein Castrop-Rauxel. Die SPD hat erkannt, dass sie mit Minister-Bashing und dem Ausspielen von Unions-Länderchefs gut punktet, und die SPD hat immer eine Option mehr, weil es bei ihr Leute gibt, die gesinnungslos genug sind, gegebenenfalls mal wieder eine Volksfront zu machen. Das Schöne für die SPD ist dabei, dass unter den jungen Leuten kaum noch jemand weiß, was Volksfront bedeutet. Die wissen nicht mal, das Wowereit mit der PDS in Berlin gerade eine bildet. Die halten Volksfront für eine Art Volksfürsorge.

Wie erträgt Angela Merkel diesen deprimierenden politischen Stillstand? Wenn man sich in die Uckermark begibt, ins Biosphärenreservat Hohenwalde, wo Frau Merkel ein Ferienhaus hat, bekommt man eine Ahnung. Dies ist eine Gegend, in der viele nicht mal tot überm Zaun hängen möchten. Hier lebt die alte DDR noch, in ihrer trostlosen Form. Wer sich dort wohlfühlt, muss Berlin für die Traum-Destination schlechthin halten und das Kanzleramt für eine Art Vatikan. Vielleicht muss man sie dort einstmals herausschleppen wie ehedem Schröder.

In zwei Jahren spätestens wird es diese Koalition nicht mehr geben. Sie wird wegen einer Kleinigkeit brechen, oder sie wird aus Kraftlosigkeit implodieren. Der Anlass wird vermutlich ein nichtiger sein, ein unscheinbarer, der sich als i-Tüpfelchen auf einem geschichtlichen Kapitel ohne Ruhm erweist. Bis dahin geht’s weiter im selben, schleichenden Zockeltrab, mit sinnlosen, zweckfreien, lähmenden Formelkompromissen, eigentlich ein Schrecken ohne Ende.

Wäre es da nicht besser, dem Schrecken ganz schnell ein Ende zu bereiten?

Hans-Hermann Tiedje

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