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Kolumne: Elena Senft schaltet nie ab: Erinnerungen an den Videorekorder

Früher antworteten prominente Menschen in Interviews oft auf die Frage nach ihrer technischen Versiertheit, sie seien mit der Technik derart auf Kriegsfuß, dass sie "noch nicht einmal einen Videorekorder programmieren" könnten.

Der Videorekordervergleich war beliebt, weil er auch etwas Volksnahes hatte. Er sagte: „Ich bin wie ihr!“, und man stellte sich sofort Paola vor, wie sie gebeugt vor dem Videorekorder stand, auf die Knöpfe einer klobigen Fernbedienung drückte und – der letzte, verzweifelte Trick von Leuten, die sich überhaupt nicht auskennen – geräuschvoll in die Kassettenöffnung blies, bevor sie dann doch Kurt Felix rufen musste, damit er ihr den Videorekorder programmierte, um „Das Erbe der Guldenburgs“ aufzuzeichnen.

Die Verdrängung des Videorekorders durch den DVD-Player war auch eine Erlösung vom Aufzeichnungswahn. Die klassische Kammer in Altbauwohnungen darf seitdem wieder eine Kammer sein und nicht der Raum, in dem alle Folgen von „Kommissar Rex“ und der „Mini Playback Show“ wohnen.

Der Aufschrei, plötzlich nicht mehr alles aufnehmen zu können, blieb aus. Vielleicht auch deswegen, weil sich in den letzten Jahren eine Art Bildungskonsens durchgesetzt hat, es könnte im Fernsehen sowieso nichts geben, was einer Aufzeichnung würdig wäre. Die Speerspitze dieser Bewegung bildet die aggressive Front derer, die gar keinen Fernseher besitzen und es wichtig finden, dass alle Menschen wissen, dass dies so ist.

Der Fernseherlose ist meist auch einer, der sich durch diese Tatsache automatisch zu einer intelligenteren Freizeit in der Lage sieht. Er liest halt lieber mal ein gutes Buch, während andere bei „Exklusiv – das Starmagazin“ mit viereckigen Augen wundgelegen dahinfaulen. Er schaut sich höchstens mal Lars-von-Trier-Filme an seiner raufaserlosen Wand auf dem Beamer an, oder natürlich seine eigenen Kurzfilme.

Der Aufzeichnungswahn von damals machte auch vor Audiokassetten nicht halt. Noch heute haben Erwachsene an den Haltungsschäden zu laborieren, die sie sich in ihrer Jugend durch das stundenlange Kauern vor der Radio-Kassettenrekorder-Kombination zugezogen haben. In buckliger Position wurde so lange verharrt, bis endlich „Lambada“ gespielt wurde und der entkräftete Jugendliche auf den „Record“-Knopf drücken konnte. Wer es dabei noch schaffte, dass weder am Ende noch am Anfang des Liedes die fetzige Moderation des Radiosprechers zu hören war, hatte sein Tagewerk erfolgreich verrichtet.

Die Straße, in der ich wohne, ist ein Zeitzeugnis. Jeder stellt das, was er nicht mehr braucht, bei Nacht auf den Bürgersteig. Er hofft, dass es am nächsten Tag einfach verschwunden ist, und aus Erfahrung weiß er doch, dass es am nächsten Tag noch dort steht. Meist handelt es sich um elektrische Geräte, die ausgedient haben, und bei denen man sich sicher ist, dass sie sich wirklich kein Depp aus dem Freundeskreis mehr aufschwatzen lässt. Der Videorekorder ist ein solches Gerät. Niemand wird ihn jemals mehr brauchen. Und wo der Videorekorder steht, ist der Radio-Kassettenplayer nicht mehr weit.

Neulich stand eine Großladung Audiokassetten auf der Straße, die jemand aussortiert hatte. Mixkassetten, auf denen mit krakeliger Kinderschrift „Cat Stevens“ stand und „Kathrin-Mix“. Einige marodierende Jugendliche, die ob ihres Alters vermutlich noch nie eine Audiokassette in der Hand hatten, bewarfen sich mit den Kassetten. Sie zerbrachen sie, zogen die Bänder heraus und wickelten Verkehrsschilder damit ein.

Nachts lief ich mit einer Freundin daran vorbei. Und dann sagte sie nostalgisch ein Wort, das es auch schon bald nicht mehr geben wird. „Guck mal. Bandsalat.“

An dieser Stelle wechseln sich ab: Elena Senft, Moritz Rinke, Christine Lemke-Matwey und Jens Mühling.

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