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Kolumne: Wissenshunger: Verdammte Fungi

Kai Kupferschmidt schreibt über Essen und Wissenschaft.

Wer an Pilze und Ernährung denkt, der hat wahrscheinlich Champignons vor Augen, Jägerschnitzel und Shiitake, Pilzpfanne und Pfifferlinge. Manche Menschen denken vielleicht auch noch daran, dass der Mensch sich der Arbeit von Hefepilzen bedient, um Bier zu brauen und Brot zu backen.

Die meisten Forscher treiben aber ganz andere Pilze um: Getreiderost und Knollenfäule, Reisbrand und Maisbeulenbrand. Sie sind die größte Gefahr für die Welternährung. „Wir verlieren mehr Nutzpflanzen durch Pilze als durch Viren, Bakterien und Parasiten zusammen“, sagt Sarah Gurr, Pflanzenforscherin der Universität Oxford.

Gurr hat ausgerechnet, wie groß die Bedrohung genau ist. Getreiderost etwa vernichtet jedes Jahr zwischen 10 und 70 Prozent der Weizenernte, Reisbrand bis zu 35 Prozent der Reisernte. Insgesamt mindestens 125 Millionen Tonnen der fünf wichtigsten Nutzpflanzen, Reis, Mais, Weizen, Soja und Kartoffel, gehen so jedes Jahr durch Pilze zugrunde. Damit könnten jedes Jahr 600 Millionen Menschen ernährt werden, rechnet Gurr vor.

Und das ist in einem guten Jahr. „Der Albtraum wäre eine weltweite Epidemie der fünf schlimmsten Schädlinge gleichzeitig“, sagt Gurr. Das ist zwar äußerst unwahrscheinlich, aber es zeigt die Dimension. Denn in dem Fall würde nicht das Essen von 600 Millionen, sondern 4,3 Milliarden Menschen vernichtet.

Der größte Erfolg der modernen Landwirtschaft ist heute auch ihr größtes Problem: Seit der grünen Revolution werden auf der ganzen Welt, auf Hektar um Hektar die gleichen Sorten Mais, Reis, Weizen, Soja oder Kartoffel angebaut. Sie bieten besonders viel Ertrag und ermöglichen es so, die Weltbevölkerung auch nur annähernd zu ernähren. Zugleich schützt die meisten dieser Sorten nur noch ein wichtiges Resistenzgen gegen Pilze.

Doch Pilze haben ein sehr großes und flexibles Erbgut. Außerdem kann eine einzige Spore, die in einem Feld landet, im Laufe einer Saison Milliarden Organismen hervorbringen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass einer dieser Pilze irgendwann auch die Resistenz durchbricht. Der Getreiderost etwa galt als Problem der Vergangenheit, seit Norman Borlaug in den 60er-Jahren Weizensorten mit dem Resistenzgen sr31 gezüchtet hatte. Doch 1998 wurde in Uganda eine neue Variante des Getreiderost-Pilzes entdeckt, Ug99 genannt, die den Schutzwall der Pflanze überwunden hat. Seither breitet der Erreger sich aus, zunächst tauchte er in Kenia und Äthiopien auf, dann auch im Jemen. Während Forscher versuchen, neue, resistente Weizensorten zu züchten, marschiert Ug99 auf die großen Weizenanbaugebiete der Welt zu.

Die Pilzbedrohung beschäftigt immer mehr Wissenschaftler. Die Menschheit dürfe sich nicht länger auf einzelne Resistenzgene verlassen, fordern sie. Mehrere Resistenzen müssten im Erbgut der Pflanzen übereinandergeschichtet werden. Auch Fungizide dürften nicht nur ein einziges Ziel haben, sondern Pilze an mehreren Stellen treffen. Und manche Forscher wollen mit bestimmten Stoffen auch das Immunsystem der Pflanzen stärken. Die meisten dieser Entwicklungen stehen allerdings noch am Anfang. Denn leider waren es lange nicht nur Laien, sondern auch Wissenschaftler, die bei Pilzen zuerst an Pizza Funghi dachten.

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