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Kommentar: Vom Glück in der Diktatur

Die Tabuisierung der Unrechtsregime ist kontraproduktiv. Eine solche Position mag moralisch ehrenwert sein, doch wird sie dem Lebensgefühl der Menschen nicht gerecht. So verfehlt sie am Ende ihre volkspädagogische Absicht.

Diesmal ist es die Hakenkreuzfahne in Florian Gallenbergers Film „John Rabe“, mit der der Held seine chinesischen Arbeiter vor der Vernichtung durch japanische Bomber und Jagdflugzeuge bewahrt, gestern war es die angebliche Relativierung der SED-Diktatur durch den mecklenburgischen Ministerpräsidenten Erwin Sellering.

Die Auseinandersetzung um den Charakter zweier Unrechtsregime treibt seltsame Blüten. Denn natürlich wird das Hakenkreuz nicht dadurch rehabilitiert, dass es einmal – in einer besonderen Situation – Menschen beschützt, statt über ihrer Vernichtung geweht hat. Und natürlich gab es in beiden Diktaturen auch glückliche private Momente, vielleicht auch Tage und Monate, die aber nichts über den Charakter beider Regime aussagen.

Von Adorno stammt das Wort, dass es kein richtiges Leben im Falschen gibt, dass also jedes private Glück auf Zeit von der Unmoral des Ganzen kontaminiert sei und folglich eben ein falsches. Doch dieser Satz ist so meilenweit von den Durchschnittsempfindungen eines Durchschnittsmenschen entfernt wie seine Feststellung, dass nach Auschwitz keine Gedichte mehr möglich seien. Was die leidenschaftlichen „Antirevisionisten“ im einen wie im anderen Falle übersehen, ist die Unhaltbarkeit einer moralischen Verteidigungslinie, die mit Adornos Diktum alles gesagt zu haben glaubt.

Statt also das falsche Leben – die braune wie die rote Diktatur – mit ihren – wenn auch unterschiedlichen – zerstörerischen Potenzialen immer aufs Neue zu delegitimieren, versucht man das Problem mit einem volkspädagogischen Basta ein für alle Mal zu Ungunsten des vermeintlich richtigen Lebens zu lösen: Die Hakenkreuzfahne darf nie und nirgendwo positiv besetzt sein und die DDR muss in jeder Lebenslage für alle und immer als Diktatur und Unterdrückungssystem erkennbar bleiben.

Mag eine solche Position auch moralisch ehrenwert sein, sie wird dem Lebensgefühl der Menschen nicht gerecht und verfehlt am Ende mit der Wahrheit auch ihre erklärte volkspädagogische Absicht. Denn die privaten Wahrheiten waren differenziert und unübersichtlich, oft eingeklemmt zwischen richtig und falsch, zwischen gut und böse. Und sie werden sich durchsetzen, im einen wie im anderen Fall. Es ist deshalb nicht nur falsch, sondern auch unklug, unhaltbare Positionen zu tabuisieren, deren zwangsweise Räumung nicht aufzuhalten ist. Denn erst das Tabu macht den Bruch desselben zu einem Erfolg derjenigen, die aus machtpolitischen Gründen in der einen wie in der anderen Diktatur auch Brauchbares zu entdecken wünschen, wo doch nur der Umgang mit ihr, also die Mechanismen privaten Selbstschutzes zu gebrauchen sind.

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