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Kontrapunkt: Assange verweigert die Transparenz, die er fordert

Die Welt braucht Wikileaks. Doch so grandios die Idee und die Aktionen der Wikileaker sind, für so fragwürdig hält Harald Schumann in seinem "Kontrapunkt" auch den Kurs, den die Organisation gleichzeitig eingeschlagen hat.

Was für ein Aufruhr! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie dringend die Welt Organisationen wie Wikileaks braucht, spätestens die Ereignisse dieser Woche haben ihn erbracht. Nie zuvor ist es Journalisten gelungen, so viel über Verlogenheit, Heuchelei und skrupellose Manipulation in der internationalen Politik zu berichten, wie es mit Hilfe der von Wikileaks gelieferten internen Berichte des US-Außenministeriums möglich geworden ist. Und nie zuvor haben die Betroffenen dieser Enthüllungen sich dermaßen selbst entblößt und lächerlich gemacht, wie jetzt Amerikas nationalistische Politiker mit ihren dümmlichen Versuchen, über politischen Druck auf Netzbetreiber und Finanzdienstleister die Überbringer der schlechten Nachrichten von ihren Geldquellen und dem Netzzugang abzuschneiden.

Doch so grandios die Idee und die Aktionen der Wikileaker sind, so fragwürdig ist leider auch der Kurs, den die Organisation gleichzeitig eingeschlagen hat. Denn ausgerechnet mit ihrem vordergründig größten Erfolg verrät die Organisation gleich mehrere ihrer ursprünglichen Ideen und Prinzipien. So waren die Gründer einst mit dem festen Vorsatz angetreten, die ihnen übermittelten geheimen Dokumente grundsätzlich und ohne Ausnahme für jedermann zugänglich zu machen. Wenn kommerzielle oder staatliche Medien anhand interner Unterlagen Skandale enthüllen, dann behalten die damit befassten Journalisten ihre Quellen und Originaldokumente in der Regel für sich und sichern sich damit das Monopol auf deren Interpretation. Ob sie dabei absichtlich und auch nur mangels Verständnis einseitig zitieren oder wesentliche Teile unterschlagen, können Leser und Zuschauer nicht überprüfen.

Genau das sollte das Prinzip Wikileaks verhindern. Aber genau das hat Julian Assange, der Ideengeber des Projekts und nun auch letzte verbliebene Aktivist aus der Gründergruppe im Fall der US-Depeschen absichtlich verhindert. Anders als vielfach berichtet hat er eben keineswegs die "geleakten" 250.000 US-Depeschen veröffentlicht. Stattdessen hat er sie - entgegen dem Willen seiner früheren Mitstreiter - lediglich einigen wenigen, ausgewählten Leitmedien aus den reichen Industrieländern zugänglich gemacht. Tatsächlich im Original veröffentlicht ist bisher nicht einmal ein halbes Prozent des gesamten Materials. Damit liegt die Interpretationshoheit über das brisante Material nun ausgerechnet bei jenen Medien, die zuvor die amerikanische Außenpolitik vielfach unkritisch und wohlwollend begleitet haben. Dagegen haben die Journalisten und Medien in den Entwicklungs- und Schwellenländern, jenen Staaten also, die potenziell eher die dunklen Seiten der US-Außenpolitik zu spüren bekommen, keinen Zugang zu den Dokumenten.

Was das praktisch bedeutet, hat jetzt der Journalist Malte Daniljuk am Beispiel der Berichterstattung über die Depeschen aus den US-Botschaften in Lateinamerika analysiert. Demnach enthalten die Daten laut der von Wikileaks veröffentlichten Statistik mehr als 4000 Berichte aus den mit den USA eng alliierten Staaten Kolumbien, Peru und Costa Rica. Doch über deren Inhalt haben die von Assange bedachten Medien bisher nicht eine Zeile verloren. Umso mehr berichteten sie dafür aus die Depeschen aus jenen Staaten, deren Regierungen den USA eher feindlich gesonnen sind. Da berichten die "New York Times" und die spanische Zeitung "El País" aus Venezuela über den Einfluss der Kubaner, über ein angebliches gemeinsames Uran-Programm mit dem Iran oder den vermeintlichen Antisemitismus der Chavez-Regierung. "Diese journalistische Selektion", so schlussfolgert der ausgewiesene Lateinamerika-Kenner Daniljuk, lege es "in fast schon karikaturhafter Weise auf die Bestätigung bekannter Propaganda-Motive an". Damit diene Wikileaks einem "weich aufbereiteten Entertainment" und stelle sich "als Rohstoffmine für ein altes System zur Verfügung".

Gleichzeitig verweigert Assange genau die Transparenz über sein Handeln und seine Politik, die er zu Recht von allen anderen Akteuren in Politik und Wirtschaft fordert. Während Zigtausende aus aller Welt aus Solidarität Geld für das Projekt spenden, liefern Assange und seine Mitstreiter keinerlei Nachweise, was mit dem Geld geschieht. Die Erfahrung lehrt aber, dass Geldflüsse ohne Kontrolle eher früher als später zum Missbrauch führen. Völlig offen ist etwa, ob die Spenden auch der Bezahlung seiner Anwälte dienen, die ihn im Verfahren über seine angeblichen sexuellen Verfehlungen in Schweden vertreten. Dieser Vorgang ist eigentlich allein seine private Angelegenheit und steht in keinem direkten Zusammenhang zum Projekt Wikileaks. Für die auch von Assange lancierte Theorie, auch dabei handele es sich um "schmutzige Tricks" der bösen Amerikaner gibt es keinerlei Beleg.

Auch über die Kriterien für die Medienauswahl geben Assange und seine Helfer bisher keine Auskunft. Die New York Times etwa kann nur deshalb berichten, weil die Journalisten vom britischen Guardian das Material an die Kollegen in New York weitergaben. Assange selbst hatte das Blatt ausschließen wollen. Ob dies daran lag, weil dort zuvor ein kritisches Portrait über ihn erschienen war? Assange schweigt. Mit derlei Willkür aber maßt er sich eine Macht an, die - ginge es nach der Gründungsidee - gerade niemandem zustehen sollte.

Passend dazu präsentiert Assange das ganze Projekt nur noch als seinen persönlichen Verdienst. Inzwischen ziert sein Konterfei sogar die Wikileaks-Website und befördert so noch einen medial inszenierten Personenkult, der so gar nicht zu den hehren Ideen von einst passen mag. Auf der Strecke bleibt so auch die Auseinandersetzung darüber, was eigentlich mit all den bis September an Wikileaks gesandten Dokumenten geschehen soll, die vielleicht nur von jeweils nationaler oder lokaler Bedeutung sein mögen, deren Veröffentlichung aber den Informanten wichtig war, den "Whistleblowern" also, zu deren Schutz und Unterstützung das ganze Projekt doch eigentlich gedacht war. Zudem ist der eigentliche technische Kern des Projekts, der mit aufwendiger Verschlüsselung und Tarnung sicher gemachte anonyme Briefkasten seit Monaten außer Funktion. Weil Assange alle Entscheidungen an sich gezogen hat und keinen kompetenten Mitmacher neben sich duldet, erfüllt Wikileaks daher ausgerechnet zum Zeitpunkt des größten Erfolges die eigentliche Aufgabe nicht mehr.

Kein Zweifel, Assange gebührt größte Anerkennung für seine Idee und seinen herausragenden Mut, diese mit aller Konsequenz auch gegen die größten Widersacher durchzukämpfen. Aber nun müssen Mittel und Wege gefunden werden, dieses großartige Unternehmen auch über die Marotten und Irrtümer seines Gründers am Leben zu halten. Die Welt braucht Wikileaks. Es wäre unverzeihlich, wenn das Projekt durch die Hybris des eigenen Gründers diskreditiert würde.

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