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Gute Miene: Bundesaußenminister Guido Westerwelle erhielt 2009 den Friedenspreis für die Menschen Deutschlands des Atlantic Council of the United States in Berlin von dem US-amerikanische Botschafter in Deutschland, Philip Murphy. Hinter den Kulissen fällt Murphy kein so freundliches Urteil über Westerwelle, wie aus Dokumenten hervorgeht, die von Wikileaks veröffentlicht werden.

© dpa

Kontrapunkt: Botschaften mit Bums

Nutzen und Schaden der Wikileaks-Enthüllungen kann man viel diskutieren, schreibt Jost Müller-Neuhof in seinem "Kontrapunkt". Aber sie sagen viel über ein überholtes Verständnis von Diplomatie. Und das ist nicht nur überflüssig, sondern gefährlich.

Die Bandbreite der Reaktionen auf die Wikileaks-Breitseite gegen die USA und ihre weltweite Gesandtschaft ist fast noch interessanter als die Enthüllung selbst. Ja was denn nun? Ein Skandal, der die Welt erschüttert und ihre Vormacht USA auf die Probe stellt? Oder ein politischer Binnenwitz, der jetzt in der Ablösung von Guido Westerwelles Büroleiter mündet? So jedenfalls sieht es aus, wenn man den offenbar allseits beliebten und geschätzten Fliegenträger von seiner Funktion entbindet, weil er den Amerikanern Interna aus den Koalitionsgesprächen zutrug; und jetzt andererseits seine politischen Freunde bis hinauf zur Bundesjustizministerin sagen, der Mann habe doch nur gut und richtig seinen Job getan, schließlich soll er doch internationale Kontakte pflegen.

Ist es also Zeit für Witze? Oder für ernste Warnungen? Man weiß es nicht, es ist jedenfalls, wie immer, Zeit für das Betrachten der Wirklichkeit, und da kommt die Posse um den angeblichen FDP-Maulwurf gerade recht. Wikileaks kommt, so umstritten die Veröffentlichungen sein mögen, das unbestreitbare Verdienst zu, einen echten, bislang verschwiegenen Skandal enthüllt zu haben: Die Überflüssigkeiten internationaler Diplomatie.

Von Diplomaten ist dieser Tage zu hören, wie richtig und wichtig es ist, dem Heimatstaat von den Erfahrungen mit den Potentaten in der Fremde zu berichten. Als gute Demokraten sind wir natürlich dankbar, von den wichtigen Herren repräsentiert zu werden und akzeptieren solche Aussage gerne. Aber: Stimmen sie auch? Man denke sich einfach alle jene Aussagen zu Herrschern und Staaten weg, die in den letzten Tagen für internationale Schlagzeilen sorgten. Der Welt wären keine Informationen verloren gegangen, denn sie ist gut informiert über "Alpha-Rüden" (Putin), "Hitler" (Ahmadinedschad), die "schräge Wahl" Niebel, den "unberechenbaren" Seehofer.

Genau hier liegt der Skandal: Was treibt die US-Diplomaten, derart belanglose Erkenntnisse in ihren Dossiers zu versammeln, die sich jeder mit dem Internet und einem Funken politischen Sachverstand zusammenrecherchieren könnte? Wieso zählen sie das im Zeitalter der globalen Totalinformation noch immer zu ihren bedeutenden Aufgaben, und wieso zahlen die Staaten für solche Nichtigkeiten teures Geld? Und wenn die Gesandten denn auch wichtige "Top-Secret"-Informationen liefern - wenn! -, die ohnehin kaum den Weg zu Wikileaks finden dürften, warum verplempern sie ihre Zeit trotzdem noch mit dem Umschreiben von Presseberichten, würzen sie mit wichtigtuerischer Lakonie und Herablassung, bloß um den Eindruck zu verschleiern, dass sie selbst auch nicht mehr wissen, als in der Zeitung steht?

Die Antwort ist simpel: Sie haben es immer schon gemacht und halten an dieser ebenso schönen wie überflüssigen und neuerdings offenbar gefährlichen Tradition fest. Denn auf Traditionen ist man stolz in der Diplomatie, wie auch die schwierige Aufarbeitung der NS-Geschichte im deutschen Auswärtigen Amt belegt. Da kann Kanzler oder Präsident sein wer will: WIR sind die Diplomaten und geübt in der Kunst der Diplomatie. Nur WIR beherrschen dieses sensible Spiel auf der Klaviatur der Weltpolitik. Herrschaften, bitte antreten zum Kniefall.

Diese Selbstüberschätzung mag gerade bei europäischen Diplomaten langsam schwinden, aber die Wikileaks-Enthüllung zeigen, wie weltfern und selbstbezüglich das internationale System Diplomatie immer noch zu operieren scheint, wie die Eingebildetheit offenbar zunimmt mit der kaum kaschierten Nutzlosigkeit. Wikileaks zwingt mindestens die US-Gesandten zu einem peinlichen Geständnis: Besser wär's gewesen, wir hätten nichts nach Hause gekabelt. Wenn wir einfach nur geschwiegen hätten - nichts wäre dadurch schlechter, nur vieles besser, denn es gäbe keine kompromittierenden Enthüllungen. Allerdings könnte dann jeder daheim sehen, wie partiell nutzlos wir geworden sind.

Jetzt, im Digitalzeitalter, können diplomatische Dossiers zur Bombe werden, man erlebt es gerade. Und die Diplomaten sagen trotzdem: Wir sind wichtig, was wir machen ist wichtig und wir machen so weiter. Eigentlich sollen Diplomaten die Weltprobleme lösen, jetzt werden sie selbst zum Problem - und merken es nicht einmal.

Staaten haben keine Freunde, sondern nur Interessen, lautet eine Grundweisheit der Diplomatie. Eben: Heute sind Interessen so vielfältig, so unübersehbar und vernetzt geworden, dass Diplomaten allein sie längst nicht mehr vertreten können. Tun sie ja auch nicht. Die Delegationen werden groß und größer, die Ansprechpartner fürs Internationale mehr. Zurück bleibt die Gernegröße aus der verblassenden Erinnerung an die Talleyrands, die Metternichs, Bismarcks und Churchills, die Genschers und Wischnewskis. Männer, die mit ein paar Handschlägen, Kamingesprächen und einem rechtzeitig abgesetzten Telegramm den Weltfrieden retten konnten. Tempi passati. Heute ist Westerwelle, und gut informierte, vielreisende Bürger haben einen klaren Blick auf das Weltgeschehen. Diplomaten sollten sich daran gewöhnen.

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