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Seit 1949 übernimmt der Bundespräsident die Patenschaft für das siebte Kind einer Familie, wenn die Eltern das beantragen.

© dapd

Kontrapunkt: Kinder haften nicht für ihre Eltern

Die Weigerung, einem Kind rechtsradikaler Eltern die Ehrenpatenschaft des Bundespräsidenten zu überbringen, hat Folgen, die niemand wollte - außer der NPD. Im "Kontrapunkt" schreibt Tissy Bruns über die Unfähigkeit, dem Rechtsextremismus angemessen zu begegnen.

Das kleine Lalendorf sieht der Reiseplan nicht vor, der Bundespräsident fährt heute daran vorbei. Christian Wulff absolviert seinen Antrittsbesuch in Mecklenburg-Vorpommern. In Lalendorf, Landkreis Güstrow, müsste er eine der weniger schönen Seiten des Landes besichtigen. Dort zeigte sich dieser Tage demonstrativ eine rechte Kameradschaftsszene. Nachdem sie sich bedrohlich vor dem Grundstück des Bürgermeisters aufgebaut hat und dabei, was selten vorkommt, von einem offiziellen Vertreter der NPD unterstützt wurde, steht nun ein Streifenwagen vor dem Haus. Die Polizei und die Politiker in der Landeshauptstadt Schwerin nehmen die Drohungen ernst, die Bürgermeister Reinhard Knaack erhält. Denn in diesem Teil Mecklenburg-Vorpommerns hat die Szene sich festgesetzt. Ministerpräsident Erwin Sellering, SPD, sieht einen Versuch, Menschen einzuschüchtern, Innenminister Lorenz Caffier, CDU, eine Vorstufe von Terror. Beides trifft zu.

Die NPD fordert den Rücktritt des Bürgermeisters von Lalendorf, weil Knaack sich geweigert hatte, einer im rechten Milieu verankerten Familie die Ehrenpatenschafts-Urkunde für ihr neugeborenes Kind zu überbringen. Seit 1949 übernimmt der Bundespräsident die Patenschaft für das siebte Kind einer Familie, wenn die Eltern das beantragen. Wulff hat die Urkunde daraufhin, beleitet von viel Kritik, an die Familie schicken lassen. Deshalb, und weil Bürgermeister Knaack schon vor den rechten Auftritten vor seinem Haus für seine Haltung politische Unterstützung aus allen Parteien erhalten hat, wird es Stimmen geben oder unausgesprochene Hinweise, dass Wulff für die widerwärtigen Drohungen gegen den Bürgermeister eine gewisse Mitverantwortung hat. Doch das trifft nicht zu.

Die Verantwortung dafür, einen Menschen und seine Familie telefonisch zu bedrohen und körperlich-demonstrativ unter Druck zu setzen, tragen allein die rechten Kameraden und ihre Unterstützer von der NPD. Gegen diese Drohungen verdient der Bürgermeister jede Solidarität und öffentlichen Schutz, von der Polizei, von Politikern und Bürgern. Seine Weigerung, einem Kind eine Präsidenten-Patenschaft zu überbringen, weil seine Eltern sich rechtsradikal betätigen, wird deshalb nicht richtig. Sie ist ein kleines Beispiel für die allgemeine Unfähigkeit, dem Rechtsextremismus in Deutschland angemessen zu begegnen. Ein Kind rechtsradikaler Eltern von einer öffentlichen Geste auszuschließen, die allen anderen siebten Kindern zukommt, drückt nichts anderes als Hoffnungslosigkeit aus. Hat nicht jedes Kind seinen eigenen Weg vor sich? Kinder können ganz anders werden als ihre Eltern. Und das umso eher, wenn die "staatliche Gemeinschaft", die laut Grundgesetz darüber wacht, dass Eltern ihre Erziehungsrechte und -pflichten richtig wahrnehmen, ihnen die offene Hand entgegenstreckt. Die staatliche Gemeinschaft drückt ihnen keinen Stempel auf, um ihre Eltern zu ächten. Kinder haften nicht für ihre Eltern.

Die Weigerung des Bürgermeisters war sicher gut gemeint. Aber gut gemeint ist, wie sich wieder einmal zeigt, nicht gut gemacht. Ächtung ist ein ambivalentes Mittel gegen Rechtradikale; sein Einsatz will ganz genau bedacht werden. Wenn Eltern gemeint, aber ein unmündiges Kind getroffen wird, dann munitioniert Ächtung die Kräfte, die man eigentlich eindämmen will. Das trifft in diesem Fall leider zu.

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