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Die FDP auf der Suche nach den Chancen für morgen.

© dapd

Kontrapunkt: Sieg der Piraten ist in Wahrheit ein Sieg der FDP

Das Abschneiden der Piratenpartei bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin zeigt, dass es eine Nachfrage nach einer Bürgerrechtspartei gibt. Die FDP könnte mit diesem Profil wieder stark werden.

Von Anna Sauerbrey

Der Sieg der Piraten bei der Berlin-Wahl ist in Wirklichkeit ein Sieg der FDP. Oder besser: Der Sieg der Piraten hätte ein Sieg der FDP sein können. Und: Er wird ein Sieg der FDP sein, wenn die FDP endlich anfängt, ein paar Dinge richtig zu machen.

Man kann das Wort vom "Markenkern" der Parteien ja eigentlich nicht mehr hören. Vielleicht ist die Idee ohnehin überholt. Die Markenkerne der meisten Parteien sind in der letzten Dekade alten Zwiebäcken immer ähnlicher geworden: weich und bröselig gleichzeitig. Berlin, wo jeder dritte Wähler etwas anderes gewählt hat als bei der letzten Wahl, legt den Schluss nahe, dass die Vorstellung von festen Wählermilieus überholt ist. Mit dem Sieg der Piraten in Berlin drängt sich vielmehr ein anderes betriebswirtschaftliches Bild auf: Das von Angebot und Nachfrage. Die Piraten bedienen offenbar eine Nachfrage, die keine der anderen Parteien so recht befriedigt hat – und das ist auch die Nachfrage nach einer starken liberalen Stimme, einer Stimme für den Rechtsstaat, für Religionsfreiheit und Freiheit von Religion und vor allem für die Bürgerrechte. Das war mal so was wie der Markenkern der FDP. Sagt man. Kann sich aber keiner unter 40 mehr so richtig dran erinnern.

Das Bedürfnis nach einer Stärkung der Bürgerrechte ist groß, das zeigt die Zahl der neu gegründeten NGOs

Nach dem 11. September 2001 war dieses Vergessen der FDP offenbar ganz recht, denn damit schien sich politisch keine Schnitte mehr machen zu lassen. Die Unionsparteien setzten darauf, dass die meisten Bürger zustimmen würden, ihre Fingerabdrücke und Flugdaten und Telefonverbindungen speichern zu lassen, wenn man ihnen nur oft genug ausmalte, sie liefen ansonsten Gefahr, in die Luft gesprengt zu werden. Doch dem war nicht so. Jenseits der etablierten Parteien ist in den letzten Jahren eine Bürgerbewegung gewachsen, die auf die Achtung der Bürgerrechte und der informationellen Selbstbestimmung besteht, auch in Zeiten drohender terroristischer Anschläge. Die Piratenpartei ist nur die Spitze eines Eisbergs von zahlreichen neuen zivilgesellschaftlichen Gruppen gegründet – der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist nur ein Beispiel.

Lesen Sie auf Seite 2, welchen Themen die FDP außerdem hätte aufgreifen können.

Das Spektrum an Themen, die die FDP ebenfalls hätte aufgreifen können, war enorm. Es ging los mit den Netzsperren, weiter mit den Nacktscannern, es ging um die Vorratsdatenspeicherung, um die Frage, ob das Internet ein eigenes Recht braucht oder schon eines hat. Mit Wikileaks und OpenLeaks wurde die Frage nach der Informationsfreiheit neu gestellt. Für eine liberale Partei hätte das sein können wie Ostern und Weihnachten und Genschers Geburtstag zusammen. Doch die FDP tat – nichts. Auch in anderen Debatten der letzten Jahre fehlte eine liberale Stimme. Im Zuge der Sarrazin-Debatte und der Frage des Umgangs mit der wachsenden muslimischen Gemeinschaft in Deutschland, wäre es spannend gewesen, einige kluge liberale Gedanken dazu zu hören, wo die Grenze zwischen der Religionsfreiheit und anderen Freiheitsrechten verläuft. Doch es kam wenig. Die einzige aktive FDP-Politikern, die in der Debatte um die Sicherungsverwahrung und die Vorratsdatenspeicherung so etwas wie ein alt-liberales Profil zeigte, war und ist Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Und ihre Stimme ging allzu oft unter im kreischenden Gezänk der anderen, verrauschte in der Steuersenkungsdebatte und droht nun vom Streit um eine Haltung zu Europa übertönt zu werden.

Wirtschaftsliberale gibt es genug in deutschen Parteien

Doch Deutschland hat keinen Mangel an einer schnöseligen BWLer-Partei, keinen Mangel an wirtschaftsliberaler Politik (die gibt es inzwischen auch in der SPD und bei den Grünen) oder Euroskeptikern (die gibt es schon in der Union). Deutschland braucht eine starke Partei der Bürgerrechte. Das Land hat einen Innenminister, der die Tatsache, dass sich Homosexuelle durch die katholische Kirche diskriminiert fühlen, als „Klein-Klein-Diskussion“ bezeichnet und eine ganze Reihe von Ministerpräsidenten, die Netzpolitik mit Stopp-Knöpfe und Facebook-Party-Verboten machen wollen.

Die FDP kann diese Marktlücke weiter ignorieren. Sie kann dabei zuschauen, dass sich die Piraten organisieren und die Grünen das Thema stärker besetzen, wie sie es seit einigen Jahren tun. Oder sie kann handeln: Sie kann es mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in Sachen Vorratsdatenspeicherung richtig knallen lassen. Sie kann die Koalition an der Frage der Bürgerrechte zerbrechen lassen und sich bis zur Wahl 2013 weiter mit dem Thema profilieren. Dann könnte auch die Nachfrage nach der FDP wieder auf über fünf Prozent steigen.

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