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Kontrapunkt: Welt ohne Gewissen

Wer schützt die Christen im Irak und in Ägypten? Ginge es Guido Westerwelle nicht nur um seine FDP, sondern auch um Außenpolitik, müsste Deutschland eine Resolution im UN-Sicherheitsrat einbringen.

Wie funktioniert das Weltgewissen? Etwa so: Wenn Israel eine Drohne losschickt, die gezielt einen Hamas-Terroristen tötet, bevor der sich mit einem Sprengstoffgürtel auf den Weg machen kann, um sich - und möglichst viele Kinder - in einem israelischen Schulbus in die Luft zu sprengen, dann, ja dann bringt mindestens eines der 57 Mitgliedsstaaten der "Organisation der Islamischen Konferenz" einen vor Zorn und Empörung triefenden Text im UN-Sicherheitsrat ein. Wenig später verabschiedet das höchste Gremium, das die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit trägt, eine leicht abgemilderte Resolution, in der Israels Maßnahme als "aggressiver Akt scharf verurteilt" wird. Seit 1948 hat sich der UN-Sicherheitsrat in 225 Resolutionen mit Israel befasst. In einer davon beschwert sich Argentinien im Jahre 1960, dass Israel bei der Entführung von Adolf Eichmann seine nationale Souveränität verletzte. In einer anderen, 20 Jahre später, wird Israels Angriff auf Saddam Husseins Atomreaktor aufs Schärfste kritisiert.

Jetzt kommt die Preisfrage: Und wie oft hat sich der UN-Sicherheitsrat mit der zunehmenden Christenverfolgung besonders in islamischen Ländern befasst? Wie oft hat er eine Resolution verabschiedet, die in den Massakern eine Bedrohung des Friedens sieht? Antwort: kein einziges Mal. Dabei zieht sich die Blutspur der Gewalt vom Irak bis nach Ägypten, von Eritrea bis nach Somalia, vom Jemen bis nach Saudi-Arabien. Nicht nur im Iran werden Konversionen mit der Todesstrafe geahndet. In vielen anderen islamischen Ländern ist es lebensgefährlich, in der Bibel zu lesen. Von den ursprünglich rund 1,2 Millionen Christen im Irak ist bereits die Mehrheit vor den islamistischen Terrorkommandos geflohen. Der größte Christenexodus der Gegenwart ist eine Tragödie, die alle aufrütteln müsste. Wie schreibt Al Qaida am 2. Dezember 2010 auf seiner langen Liste mit Anschlagszielen auf christliche Gotteshäuser - auch in Deutschland, Frankreich und Großbritannien? "Jeder Muslim, der sich um die Ehre seiner Schwestern sorgt", möge "Sprengstoffanschläge während Weihnachtsmessen" verüben. Die Kopten in Ägypten feiern Weihnachten am 6. und 7. Januar.

Deutschland sitzt seit Jahresanfang für zwei Jahre als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Außenminister Guido Westerwelle ist darauf sehr stolz. Krisenprävention und friedliche Konfliktlösung will er in den Mittelpunkt stellen. Westerwelle ist bekennender Christ ("Ich bin aus Glauben und Überzeugung in der Kirche"). Er weiß, dass Glauben Gemeinschaft stiftet. Er weiß, was christliche Nächstenliebe, christliche Solidarität und christliche Traditionen bedeuten. Er könnte, wenn er denn wollte, einen Resolutionstext im UN-Sicherheitsrat einbringen, in dem die Lage der Christen in vielen muslimischen Ländern thematisiert wird. Nur dieses Mal, nur dieses einzige Mal. Statt dessen will er jetzt in Stuttgart auf dem Dreikönigstreffen seiner Partei eine "flammende Rede" halten, in der es im wesentlichen um die FDP und ihre Zukunft geht, nicht aber um brennende Gotteshäuser und verfolgte Gläubige. Jeder setzt halt am Jahresanfang seine politischen Prioritäten.

Müsste Deutschland sich Sorgen machen, eine UN-Resolution zur Christenverfolgung in muslimischen Ländern würde als neuer Kreuzzug missverstanden? Vielleicht. Aber die Wahrheit zu unterdrücken, weil das Gegenüber die Wirklichkeit mutwillig verzerrt, käme einer Kapitulation vor dem Irrsinn gleich. Westerwelles Vorvorgänger, Joschka Fischer, begründete einst das Bombardement des christlichen Serbiens mit der Schutzbedürftigkeit muslimischer Kosovaren - und mit der deutschen Lehre aus Auschwitz (was in grüner Lesart allerdings auf keinen Fall den Einsatz von Bodentruppen beinhaltete). Der Verdacht, heute ginge es Deutschland mit einer UN-Resolution um mehr als den Schutz bedürftiger Christen in muslimischen Ländern, ist auch vor diesem historischen Hintergrund absurd.

Was bringt eine solche UN-Resolution? Wahrscheinlich nicht viel. Die meisten muslimischen Länder werden sich einen Dreck darum scheren. Aber sie könnte helfen, das durch Einseitigkeit ramponierte Weltgewissen ein bisschen zu reparieren. Und sei es nur, dass in dem Fall, in dem sich Israel mal wieder gezwungen sieht, mit einer Drohne einen Hamas-Terroristen zu töten, dem reflexartig folgenden Wutgeschrei über die israelische Missachtung von UN-Resolutionen eine andere Resolution entgegengehalten werden kann. Nur eine einzige.

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