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Meinung: Kontrollverlust am Monitor

Rechtlich dürfen wir über unsere Daten bestimmen – faktisch tun wir es längst nicht mehr.

Von Anna Sauerbrey

Unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung, schreibt das Bundesverfassungsgericht, muss der Einzelne gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten geschützt werden. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, heißt es in dem Urteil, garantiere, dass jeder grundsätzlich über die Preisgabe und Verwendung seiner Daten bestimmen darf.

Der Text, aus dem das Zitat stammt, ist von 1983. In seinem Urteil zur Volkszählung prägte das Verfassungsgericht den Begriff der „informationellen Selbstbestimmung“ und gab der Hoheit über die eigenen Daten damit Grundrechtscharakter. Seitdem hat es sich in zahlreichen Urteilen auf diesen Grundsatz bezogen, zuletzt in dieser Woche, als es die Regierung für die Antiterrordatei abwatschte. Ist das noch zeitgemäß?

Die „moderne Datenverarbeitung“ von 1983 steht heute im Technikmuseum. Die Möglichkeiten zur Datenerfassung und -auswertung, über die Unternehmen und Behörden heute verfügen, waren kühne Visionen. Die Volkszähler von 1987 gingen mit Papier und Stift von Tür zu Tür. Heute werden unsere Daten im Sekundentakt erfasst, im Netz und an der Supermarktkasse. Vor allem bei den Auswertungsmöglichkeiten schreitet die Technik rasant voran. Daten, die gestern noch wertlos oder unauffindbar waren, ändern ihren Charakter. Ein Beispiel sind Bilder.

Ein nicht beschriftetes Bild im Internet war noch vor wenigen Jahren faktisch inexistent, man konnte nicht danach suchen. Heute lassen sich Bilder mit Bildern suchen, die Gesichtserkennungstechnik macht Fortschritte. Das ändert nicht nur die Fragen, die sich Google stellen lassen muss, wenn es eine Brille auf den Markt bringt, die praktisch pausenlos filmen und Bilder ins Netz stellen kann. Das ändert auch die Parameter der Diskussion über die Videoüberwachung. Ein anderes Beispiel sind automatische Analyseverfahren. Fakten über eine Person lassen sich automatisch sammeln und kombinieren, um daraus statistische Rückschlüsse auf weitere, bislang nicht öffentliche Eigenschaften zu ziehen.

Der technische Fortschritt führt die „informationelle Selbstbestimmung“ zunehmend an Grenzen. Die volle Kontrolle haben wir längst verloren. Die Hoheit über unsere Daten haben andere – wenn nicht heute, dann morgen.

Datenschützer und Gerichte halten dennoch am Rechtsbegriff fest. Das ist einerseits zu begrüßen – eine Kapitulation vor denen, die immer nach neuen Daten greifen, darf es nicht geben. Dennoch sollte sich die Politik gleichzeitig Gedanken machen, wie der Schutz des Bürgers im Zeitalter von „Big Data“ weiterentwickelt werden muss. Das Wichtigste ist Transparenz. Dem Einzelnen muss endlich ermöglicht werden, sich schnell einen Überblick über seine gespeicherten Daten zu verschaffen. Dazu gehört aber auch, diejenigen, die unsere Daten analysieren, zu zwingen, ihre Verfahren offenzulegen. Wenn wir das Bild, dass andere sich von uns machen, schon nicht bestimmen können, sollten wir es wenigstens kennen dürfen.

In einer früheren Version dieses Textes hieß es fälschlich, das Volkszählungsurteil, das das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung etabliert, sei von 1987. Tatsächlich erging das Urteil schon 1983. Wir danken unserem Leser "Garrulus" für den Hinweis.

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