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Trauriger Alltag in Kiew - Bestattung eines toten Soldaten.

© AFP

Krise in der Ukraine: Folge der inneren Stimme

Die Ukraine mobilisiert weitere 50000 Reservisten. Das nennt sich: Eskalation. Was bleibt, ist der Versuch, den Gesprächsfaden immer wieder neu zu knüpfen. Deutschland hat in dieser Hinsicht eine besondere Verantwortung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Immer weiter, immer mehr, von Frieden keine Spur. Die Rede ist ausnahmsweise einmal nicht von innerdeutschen Verhältnissen, sondern von einem Konflikt, der Europa an den Rand eines Krieges gebracht hat, eines großen, mit Russland. So heiß war die Lage seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Angesichts der Kämpfe mit den russlandfreundlichen Rebellen ziehen die ukrainischen Streitkräfte 50 000 weitere Reservisten ein. Mit dem Einzugsbefehl müssen alle Männer rechnen, die eine militärische Ausbildung haben.

Das nennt sich: Eskalation.

Nun dauert die Mobilmachung 90 Tage, wie die Regierung in Kiew sagt und Experten bestätigen. Das bedeutet: So gespannt die Lage in der Ostukraine ist – es bleiben nicht Stunden, sondern Tage zur Deeskalation. Die dringend ist. In den Kämpfen zwischen Regierungstruppen und prorussischen Aufständischen sind seit April mehr als 4800 Menschen gestorben, und noch immer werden täglich Menschen aus ihren Wohnungen und Häusern vertrieben. Da wirkt es wie eine Trotzreaktion, dass die Konfliktparteien keine Ruhe halten, keine Ruhe geben, und wie eine weitere Provokation, dass Russland und der Iran ihre militärische Kooperation ausweiten wollen. Gegen beide Länder haben sowohl die USA und die EU Wirtschaftssanktionen verhängt; beide Länder stützen im offenen Gegensatz zum Westen auch Syriens Diktator Baschar al Assad.

Internationale Friedensbemühungen haben bisher nichts zum Besseren gewendet. Doch der einzige Tyrann, der in dieser Welt anzuerkennen ist, ist die leise innere Stimme, wusste Gandhi. Will sagen: Soll niemand behaupten dürfen, Europa habe nicht alles versucht; darum bleibt nichts anderes als der Versuch, Mal um Mal, den Gesprächsfaden neu zu knüpfen. Das vom deutschen Außenminister erfundene Viererformat (mit Russland, Frankreich und der Ukraine) ist die Chance, die geblieben ist. Immer wieder einzuladen, ohne Sorge vor Misserfolg, erfordert die Schwere des Konflikts. Und um Wladimir Putin wie sein Gefolge – wenn es in Russland schon keiner mehr kann – mit der anderen Sicht auf die Lage zu konfrontieren.

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