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Israelische Panzer an der Grenze zum Gazastreifen.

© Reuters

Krise in Nahost: Ägypten ist der Schlüssel zum Frieden

Kairo will keine Eskalation, Kairo will den Camp-David-Friedensvertrag nicht gefährden. Kairo will ein Ende der Kämpfe und ein Ende des Tötens. Doch für seine Friedensbemühungen zwischen Israel und der Hamas verlangt Ägypten einen Preis.

Der Schlüssel liegt in Kairo. Hier laufen seit Beginn der Raketenduelle zwischen Hamasbrigaden und israelischer Luftwaffe die Gesprächsfäden für einen Waffenstillstand zusammen. Katars Premierminister ist an den Nil geeilt, auch der türkische Regierungschef Erdogan reiste an. US-Präsident Barack Obama telefoniert mit Ägyptens Mohammed Mursi, genauso wie Hamas-Regierungschef Ismail Hanija. Binnen weniger Monate hat der Muslimbruder auf dem Präsidentensessel sein Ägypten wieder zu einer festen Größe in der außenpolitischen Landkarte des Nahen Ostens gemacht. Gleichzeitig entpuppt sich der gelernte Brückenbau-Ingenieur als uneitler Staatslenker mit Augenmaß, taktischem Geschick und klaren Prinzipien. Kairo will keine Eskalation, Kairo will den Camp-David-Friedensvertrag nicht gefährden. Kairo will ein Ende der Kämpfe und ein Ende des Tötens.

Gleichzeitig aber will Ägyptens neue Führung den Vereinigten Staaten und Europa endlich vermitteln, dass die seit 45 Jahren andauernde israelische Besetzung und Belagerung von Westbank und Gazastreifen die Wurzeln sind für die immer wieder hochkochende Gewalt zwischen beiden Völkern. Denn so heftig die gegenseitigen Schmähungen, so dicht der akute Raketenhagel, das politische und moralische Grundproblem des Gazastreifens schwärt weiter – genauso wie vor vier, vor acht oder vor zwanzig Jahren. 1,6 Millionen Menschen leben eingepfercht in dieser Mini-Enklave am Mittelmeer. Im Blick auf die eigene Bevölkerung und ihre Sicherheit führen Israels Sprecher gerne die internationalen Standards für Menschenrechte im Mund – und das völlig zu Recht. Dieses gleiche Recht auf ein Leben in Würde und Gesundheit, mit Bildung und Reisefreiheit aber steht auch den Menschen im Gazastreifen zu.

Diese Sehnsucht nach einem menschenwürdigen Leben hat der Arabische Frühling bei allen Bewohnern der Region ganz neu geschärft. Sie gehört zu den wichtigsten Triebfedern der Volksaufstände. Entsprechend müssen die demokratisch gewählten, postrevolutionären Führungen mit der internationalen Staatenwelt Partnerschaften unter neuen Vorzeichen suchen. Denn erstmals seit Jahrzehnten reden jetzt auch ihre Völker mit, wollen an dem politischen Geschehen der Nationen beteiligt werden, verlangen Rechenschaft von ihren Regierungen – nicht nur bei der Innen- und Sozialpolitik, sondern auch beim außenpolitischen Kurs ihrer Länder.

Und so durchzieht erstmals seit Jahrzehnten eine bisher unbekannte Selbstkritik auch arabische Politikerreden. Ägyptens Ministerpräsident Hisham Qandil nannte bei seinem Besuch in Gaza Stadt als wichtigste Voraussetzung für einen Staat Palästina, dass sich seine tief zerstrittenen, künftigen Bewohner endlich untereinander einigen. Katars Regierungschef Al Thani geißelte die Arabische Liga als teuren wie wirkungslosen Quasselverein, der alles verspricht und kaum etwas hält. Fast zwei Generationen nach der Besetzung von Westbank und Gazastreifen durch Israel werden sich die arabischen Eliten und ihre Völker bewusst, wie wenig sie auf dem Weg zu Frieden und Wohlstand erreicht haben, wie uneinig sie sind und wie wirkungslos ihre Diplomatie agierte. Gleichzeitig aber müsste auch Israel seit den Raketen auf Tel Aviv und Jerusalem klar geworden sein, dass militärische Stärke allein seine Sicherheit nicht mehr garantieren kann. Sondern nur ein umfassender politischer Kompromiss mit der palästinensischen und der arabischen Seite.

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