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Meinung: Kundus ist nicht Castrop-Rauxel

Auch der neue Verteidigungsminister Guttenberg wird aus der Affäre nicht ohne Schrammen herauskommen

Von Robert Birnbaum

Es gibt Sätze, die sind wie zu enge Parklücken: Rein kommt man gerade noch, aber dann gehts nicht mehr vor und nicht zurück, und raus nur noch mit Schrammen. Karl-Theodor zu Guttenberg hat sich dergestalt selbst eingeklemmt. Der neue Verteidigungsminister hat kurz nach Amtsantritt die Tanklaster-Bombardierung von Kundus einer eigenen Bewertung unterzogen. Er hat eingeräumt, dass der deutsche Kommandeur vor Ort den Befehl gab, ohne sich an alle Einsatzregeln zu halten. Er hat das Bombardement gleichwohl als „militärisch angemessen“ bewertet. Und er hat den Satz zu viel gesagt: „Selbst wenn es keine Verfahrensfehler gegeben hätte, hätte es zum Luftschlag kommen müssen.“

Dieses „müssen“ hängt ihm jetzt nach. Guttenberg hat nie erklärt, wieso er nach Lektüre des Nato-Berichts über den Vorfall zu diesem Schluss kam. Alle anderen, die den Geheimbericht kennen, leiten daraus eher das Gegenteil ab: „Militärisch angemessen“ im Sinne einer Logik des Schlachtfelds war der Bombenabwurf vielleicht, zwingend notwendig war er nicht.

Das Problem des Ministers ist bloß: Das „müssen“ kann er nicht mehr korrigieren. Denn er ist nicht nur Politiker, Mensch und fachlich versierter Gutachter. Er ist obendrein Dienstherr des Obersten, der den Befehl zum Bombenabwurf gab. Gegen den Mann läuft ein Ermittlungsverfahren. Jede Aussage seines Ministers kann gegen ihn verwendet werden.

Und Guttenbergs Dilemma ist noch viel größer. Die gesamte Bundeswehr verfolgt mit Spannung, ob sich der neue Dienstherr ihr gegenüber loyal verhält. Bei der Bundeswehr am Hindukusch ist die Spannung doppelt stark. Dort kann jederzeit ein anderer Offizier wieder in die Lage kommen, einen Bombenabwurf befehlen zu – nun ja: „müssen“. Er wird das nur tun, wenn er absolut sicher ist, dass der Minister hinter ihm steht. Wenn er sich aber nicht sicher ist, keine US- Bomber anfordert – und dann sterben deutsche Soldaten im Gefecht, weil keine Hilfe kam?

An dieser Stelle rächt sich ein Versäumnis der gesamten Politik der letzten 15 Jahre. Als das Verfassungsgericht in seinem berühmten Awacs-Urteil 1994 den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen kollektiver Verteidigung erlaubte, schuf es ein Zwischending zwischen Krieg und Frieden. Das sonstige Recht blieb in der Zeit davor stehen: Solange nicht regelrechter Krieg herrscht – in dem das Völkerrecht zuständig wird –, gelten in Kundus theoretisch von der Straßenverkehrsordnung bis zum Strafrecht Maßstäbe wie in Castrop-Rauxel. „Kriegsähnliche Zustände“, die Guttenberg in Afghanistan sieht, kennt das Strafgesetzbuch nicht.

Jedenfalls noch nicht. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe prüft ja gerade, ob der Fall Kundus nicht doch einer fürs Völkerrecht wäre. Dann müsste der Oberst von Kundus Strafverfolgung nur noch fürchten, wenn er zivile Opfer völlig unverhältnismäßig oder gar absichtlich in Kauf genommen hätte.

Bis dahin steckt Guttenberg in der Klemme. Er kann sein Versprechen nicht halten, seine Bewertung des Bomben-Vorfalls eventuell im Licht der neu aufgetauchten Berichte zu revidieren. Würde er es doch zu halten versuchen, wäre der Preis hoch. Bleibt er bei seinem Urteil, das vorschnelle „müssen“ inklusive, ist er politisch angreifbar. Weicht er vom „müssen“ auch nur einen Millimeter ab, müsste er den Vorwurf fürchten, dass er dem eigenen Kommandeur vor Gericht den Boden unter den Füßen wegzieht.

Das Klügste wäre gewesen, er hätte gleich von Anfang an geschwiegen. Es gab keinen Zwang, den Fall Kundus neu zu bewerten – der Hinweis auf das laufende Ermittlungsverfahren hätte Schweigen gerechtfertigt. Der Neue im Bendlerblock wollte sich vom Vorgänger absetzen. Der war oft zu zögerlich, zu bedenkenträgerisch, zu langsam; auch das hat ihn am Ende das Amt gekostet. Guttenberg war zu schnell. Es wird ihn nicht das Amt kosten. Aber es droht sehr hässliche Kratzer auf dem Lack zu hinterlassen.

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