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Meinung: Land ohne Kompass

Von Malte Lehming

Die Schreie werden lauter, es herrscht ein Gefühl absoluter Perspektivlosigkeit. In Israel weiß weder jemand ein noch aus. Der Libanonkrieg? Ein Debakel. Nur knapp kam es zweimal nicht dazu, dass israelische Kampfflugzeuge mit UN-Truppen kollidierten – erst mit der deutschen Marine, dann mit französischen Soldaten. Die Lage in den besetzten Gebieten? Katastrophal. Im Gazastreifen sind 18 Mitglieder einer Großfamilie getötet worden – darunter viele Kinder und Frauen. Die politische Führung? Hangelt sich von Skandalen zu Affären. Nur noch zwanzig Prozent der Bevölkerung stehen hinter Premierminister Ehud Olmert.

„Unsere Führung ist hohl, die politische wie die militärische“, hat der Schriftsteller David Grossman vor wenigen Tagen in einer Klagerede bilanziert, anlässlich des elften Jahrestages der Ermordung von Jitzchak Rabin. „Die wesentlichen Inhalte, mit denen Israels Führungskräfte die Hülle ihrer Politik heute füllen, sind Ängste und Einschüchterung, Machtverliebtheit und Machenschaften, Feilschen über alles, was uns lieb und teuer ist.“ Grossman hat im Libanonkrieg seinen 19-jährigen Sohn Uri verloren. Das macht ihn bitter, vielleicht auch parteiisch. Aber sein Zorn spricht vielen Menschen aus dem Herzen. Worauf sollen sie hoffen? Dass die Hisbollah verschwindet, der Iran verschweizert, die Palästinenser sich eine neue moderate Führung wählen, Syrien auf den Golan verzichtet? Nichts davon wird geschehen, aber wenigstens wünschte man sich eine Perspektive von den eigenen Leute. Rabin hat eine solche gehabt, auch Scharon. Die Weisheit der Alten fehlt.

Stattdessen ist Avigdor Lieberman zum Minister für strategische Bedrohungen ernannt worden. Der Rechtsaußen ist strikt dagegen, dass illegal errichtete Siedlungen geräumt werden. Jetzt sitzt er in einem Komitee, das für eben diese Räumungen verantwortlich ist. Ein Hohn, eine Farce. Oder, um noch einmal mit Grossman zu sprechen: Ein „Pyromane ist zum Direktor der Feuerwehr“ gemacht worden.

In der kommenden Woche reist Olmert nach Washington, zu George W. Bush. Ob von dessen Administration noch wirksame Nahost-Initiativen zu erwarten sind, ist zweifelhaft. Der große Bruder hat genug mit sich selbst zu tun. Es hilft also nichts: Aus Olmert, dem „Manager ohne Agenda“, muss dringend ein Premier werden, der aus eigenen Stücken seinem Land die Richtung weist. Oder es versinkt weiter in Depression.

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