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LEICHTS Sinn: Auch die Wähler verweigern sich der Politik

Schimpfen ist leicht, die Probleme sind es nicht: Der Politikverweigerung haben sich nicht nur "die" Politiker schuldig gemacht.

Gewiss kann man das massive Unbehagen an unserer gegenwärtigen Regierungskoalition schnell auf Unzulänglichkeiten aller Art zurückführen – in den Personen, zwischen den Personen. Doch bevor man ständig auf das Personal schimpft, sollte man erst einmal die zugrunde liegenden sachlichen Probleme studieren. Dabei wird man dann feststellen, dass jede Politik und jede ehrliche Partei derzeit vor bedrückenden Dilemmata stünde – und dass diese Zusammenballung von Problemen letztlich auf eine jahrzehntealte Politikverweigerung zurückgeht. Dieser Politikverweigerung haben sich übrigens nicht nur „die“ Politiker schuldig gemacht, sondern auch „die“ Wähler, die noch fast jeden Staatsmann abgestraft haben, der sie aus bequemen Verteilungsillusionen auf den Pfad des politischen Realismus zurückführen wollte. Hier also eine erste Liste der fundamentalen politischen Herausforderungen.

Zum Ersten: Unsere Staatsverschuldung ist längst zu hoch, jedenfalls im Blick auf unsere innere staatliche Handlungsfähigkeit. Wenn zwischen 15 und 20 Prozent des Bundeshaushalts für den Zinsdienst auf Staatsschulden entfallen (ein Zinsanstieg triebe diese Quote weiter nach oben), dann ist die Fähigkeit des Staats zu investivem Handeln empfindlich eingeschränkt, zumal da der allergrößte und am schnellsten wachsende Posten im Bundeshaushalt immer noch von den Sozialausgaben gestellt wird – von Geld also, das nicht in zukunftswirksame Investitionen, sondern in gegenwärtigen Konsum fließt. Das heißt: Mit langfristigen Staatsschulden finanzieren wir, besonders seit der deutschen Einheit, kurzfristigen Konsum – in jedem privaten Haushalt ein Ding der Unmöglichkeit. Und nach wie vor wächst die Neuverschuldung.

Zum Zweiten: Unsere Staatsquote, also der Anteil von Steuern und Abgaben am Bruttoinlandsprodukt, ist mit 44 Prozent (2008) immer noch zu hoch und lähmt die wirtschaftliche Dynamik.

Zum Dritten: Aus der Zwickmühle von hoher Staatsverschuldung bei gleichzeitig zu hoher Staatsquote gibt es keinen einfachen Ausweg. Nur Steuern zu senken bei gleichbleibenden Ausgaben heißt, die Schulden und damit den Zinsdienst zu erhöhen, also den Staat zu lähmen – die Staatsquote hochzufahren (also Steuern zu erhöhen), um die Neuverschuldung zu bremsen, heißt, die wirtschaftliche Dynamik einzuschränken.

Zum Vierten: Also müssen die Staatsausgaben zurückgefahren werden. Aber Ausgaben kann man nur dort kürzen, wo man sie vorher getätigt hat. Da aber die Sozialausgaben den größten Anteil am Bundeshaushalt stellen, sind nur dort nennenswerte Kürzungen möglich. Dies wird aber schnell als unsozial und ungerecht gebrandmarkt – als ob die simple Formel „hohe Sozialausgaben des Staats gleich hohes Gerechtigkeitsniveau“ ungeprüften Beweiswert hätte. Da mag man aus ideologischen oder optischen Gründen nach irgendeiner „Reichensteuer“ rufen. Aber abgesehen davon, dass schon jetzt 20 Prozent der Einkommensbezieher 70 Prozent der Lohn- und Einkommensteuer bezahlen, also die „restlichen“ 80 Prozent nur mit 30 Prozent an deren Aufkommen beteiligt sind – stünde jedes zusätzliche Aufkommen an einer solchen „Reichensteuer“ in einem lachhaften Verhältnis zu den notwendigen Kürzungen im konsumptiven Bereich. Um von der eigentlich notwendigen Steigerung der investiven Ausgaben ganz zu schweigen …

Wenn man sich diese nur grob skizzierten Grundprobleme aller gegenwärtigen Politik vor Augen führt, mag man das aktuelle Regierungshandeln besonders scharf kritisieren. Man wird aber sofort erkennen, dass es mit einem regelrechten Wunder zugehen müsste, wenn irgendeine andere Regierung imstande wäre, sich besser zu behaupten. Vor allem, wenn man die konkret denkbare Alternative denkt.

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