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LEICHTS Sinn: Die Politik wird heimatlos Programmatisch lässt die Welt sich nicht regieren

An Ratgebern fehlt es der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel derzeit wirklich nicht. Am eindrucksvollsten wirkt dabei immer noch Erwin Teufel, der vormalige baden-württembergische Ministerpräsident, der letzte Amtsinhaber dort, der in seiner Amtszeit Stimmen zurückgewinnen konnte.

An Ratgebern fehlt es der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel derzeit wirklich nicht. Am eindrucksvollsten wirkt dabei immer noch Erwin Teufel, der vormalige baden-württembergische Ministerpräsident, der letzte Amtsinhaber dort, der in seiner Amtszeit Stimmen zurückgewinnen konnte. Doch selbst Teufels Appell an die christlichen Wurzeln der politischen Pragmatik der CDU hat etwas rührend Hilfloses an sich. Wenn die CDU-Vorsitzende, ja wenn überhaupt irgendjemand eine dezidiert christliche Ethik zur Grundlage seiner Politik machen wollte, käme nämlich noch viel mehr zum Wanken als nur das juste milieu einer bürgerlichen Wohlstandspartei.

Gewiss, sehr überzeugend tritt Merkel im Augenblick nicht auf. Aber all ihre Ratgeber haben eines gemein: Sie beklagen den Verlust scheinbar eindeutiger Traditionsbestände, können aber nicht erklären, wie man in einer schnell sich ändernden Zeit als Regierungspartei erfolgreich sein soll, wenn man sich allein auf die bröckelnden Traditionsmilieus zurückzieht. In der Moderne gibt es eben nicht nur die alte Heimat.

Die volle Dramatik dessen, was sich derzeit vollzieht, wird jedoch erst deutlich, wenn man auf alle Parteien blickt. Die Panik, welche die CDU/CSU befällt, verfolgt die SPD schon seit längerem – der Zerfall der Stammwählerschaften. Nicht einmal, was liberal ist, lässt sich noch eindeutig einem Milieu zuordnen. Es mag sein, dass die Führungspersonen sämtlicher Parteien gegenwärtig alles andere als attraktiv wirken. Gleichwohl wäre es ein Fehler, dies ausschließlich auf die persönlichen Schwächen der betreffenden Gestalten zurückzuführen, in deren Kreis man gerne außer der neuen FDP-Führung auch die gespaltene Mannschaft der Linkspartei einbeziehen kann; nur bei den Grünen merkt man es (vor den Berliner Wahlen!) noch nicht so deutlich, weil sie von einem gewissen Aufwind getragen werden. Selbst Helden könnten heute nicht die unumkehrbaren Herausforderungen der Parteipolitik durch irgendwelches Charisma überspringen.

Im Grunde setzen geschlossene Parteiprogramme nämlich einigermaßen geschlossene politische Systeme und Milieus voraus. Mit anderen Worten: Souverän ausgedachte Programme verlangen ein politisches Personal, das auch einigermaßen souverän zu handeln vermag. Je offener aber unsere Welt wird – und das bezieht sich nicht nur auf die Durchlässigkeit traditioneller Landesgrenzen, auch nicht nur auf weltweit einigermaßen offene Märkte, sondern dies gilt zugleich für die weltweit offene Kommunikation in den digitalen Welten, die klassische Kulturregionen überwindet und den regionalen Zivilisationen ihre Relativität vor Augen führt –, je weiter also unsere Welt sich öffnet, desto weniger kümmert sie sich um die programmatischen Befindlichkeiten regionaler Akteure. Auf einen Befund reduziert: Es sind nicht mehr die Programme, welche die Wirklichkeiten regieren, sondern die Wirklichkeiten reduzieren die Reichweiten der Programme.

Am Ende der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte der Soziologe Helmut Schelsky das Ende der Ideologien ausgerufen. Gemeint war damit, dass die Ideologien ihre innere Spann- und Überzeugungskraft verloren, sich überdies auch selber schrecklich desavouiert hatten. Heute zeigt sich: Selbst beim besten Willen kann man mit Ideologien die Welt nicht mehr regieren. Und mit Parteiprogrammen nur sehr begrenzt. Auch wenn es gelingen mag, mit ihnen einstweilen noch Wähler zu gewinnen – spätestens wenn man sie unter dem Zwang der Realitäten enttäuschen muss, zeigt sich die Relativität aller politischen Absichten. Wie es nun auch die Grünen in Stuttgart erfahren dürfen.

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