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LEICHTS Sinn: Stuttgart – ein Mahnmal der Bürgerenttäuschung

Die Grünen haben sich verrechnet.

Stuttgart: Schaut auf diese Stadt! Dort geschieht nämlich derzeit etwas Bemerkenswertes. Die Deutsche Bahn hatte angekündigt, dass sie den von ihr freiwillig eingeräumten Baustopp für den neuen Hauptbahnhof nun beenden werde, weil sie sonst aufgrund verbindlicher Verträge mit Bauunternehmen schadensersatzpflichtig würde.

Es wäre für die neue grün-rote Landesregierung zwar kein Leichtes gewesen, nun ihrerseits einen Baustopp zu verhängen – sie hätte dazu aber die Kosten und Schadensersatzansprüchen auf den Staatsetat übernehmen müssen, getreu dem Verursacherprinzip. Das war der Landesregierung zu teuer und folglich verzichtete sie auf den Baustopp und billigte auf diese Weise stillschweigend die weiteren Baumaßnahmen der Deutschen Bahn. Nun muss sogar der SPD-Innenminister mit seinen Polizeikräften die Baumaßnahmen absichern, die der grüne Verkehrsminister au fond ablehnt. Die passive Billigung durch die grün-rote Landeskoalition setzt ja gedanklich zwingend voraus, dass nicht nur der nächste Schritt, sondern das gesamte Bauprojekt der Bahn zweifellos rechtmäßig ist und infolgedessen jeder, der hier Verzögerungen bewirkt, die Kosten zu übernehmen hat.

Wenn aber die Landesregierung in Stuttgart schon nicht willens oder finanziell nicht imstande ist, die Kosten eines für wenige Wochen fortgesetzten Baustopps zu übernehmen – wie will sie dann je für die Kosten eintreten, die durch eine vollständige Verhinderung des gesamten Projekts auf sie zukommen würden? Mit anderen Worten: Ein wesentlicher Teil der Wahlpropaganda, der einen wesentlichen Teil dieser Koalition, nämlich die grüne Landespartei an die Macht gebracht hat, wird nun durch das regierungseigene Handeln total desavouiert. Die Baustelle, an der vor eben einem halben Jahr der „Wutbürger“ erfunden wurde, erweist sich nun als eindrückliches Mahnmal der Bürgertäuschung.

Wie konnte es dazu kommen? Wenn man dieser Frage nachgeht, stößt man auf einen erschreckend simplen Mechanismus und ein kurzsichtiges Wahlkalkül. Noch vor Fukushima hatten die grünen Spitzenleute an Neckar und Nesenbach in ihren schönsten Träumen daran gedacht, sie würden es zum Juniorpartner einer weiterhin regierenden CDU bringen. So gerechnet konnte man den Wählern vormachen, man werde alles tun, was möglich ist, um den Bau des neuen Bahnhofs zu verhindern. Nach der Volksschul-Rechenregel „Schreib zwei hin, behalte eins im Sinn“ war dabei insgeheim einkalkuliert worden, dass man hernach als kleinere Koalitionspartei sich gequält mit dem Bahnhof abfinden müsse und den Wählern sagen könne: „Wir haben versprochen, alles Mögliche zu tun – aber das hat eben leider nicht ganz ausgereicht.“ Nun jedoch ist man selber führende Koalitionspartei geworden, kann also den Bahnhof leider nicht der bösen CDU in die Schuhe schieben, sondern muss selber in den sauren Apfel der Wählerenttäuschung beißen, dazu mit einem Juniorpartner SPD, der ohnehin immer für den Bahnhof war, und mit einer Volksabstimmung vor Augen, die praktisch gar nicht gegen den Bahnhof ausgehen kann.

Zu solchen von der Wirklichkeit schnell eingeholten hohlen Versprechungen sagt der Lateiner: Quidquid agis, prudenter agas et respice finem: Was immer du tust, handle klug und bedenke das Ende. Schon in der Volksschule aber hat man uns beigebracht: Lügen haben kurze Beine. Und das gilt auch für alle Versprechungen, die man mit dem Hintergedanken abgibt, es würden schon andere dafür sorgen, dass man sie nicht einlösen muss. Politisch vertieft dieser Vorgang das Misstrauen in die Politik – und das ausgerechnet durch jene, die großmundig angetreten waren, den Wutbürger zu besänftigen.

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