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Meinung: 68 war gar keine deutsche Bewegung

„Von Nazis und 68ern“ von Harald Martenstein vom 2. März Ich habe die 68erJahre sehr bewusst aus der Universitätserfahrung miterlebt: in Tübingen, Frankreich, und (1969–1971) Französisch-Kanada.

„Von Nazis und 68ern“

von Harald Martenstein vom 2. März

Ich habe die 68erJahre sehr bewusst aus der Universitätserfahrung miterlebt: in Tübingen, Frankreich, und (1969–1971) Französisch-Kanada. Und ab 1975 konnte ich die weitere Entwicklung als Professor am Fachbereich Germanistik der FU Berlin beobachten, das heißt in einem Brennpunkt des Protestes.

Der vielleicht interessanteste Faktor ist inzwischen für mich, dass eine groteske historische Fehlinterpretation der 68er auftauchen, um sich greifen, immer gewisser werden konnte und heute als historisches Faktum gehandelt wird. Nunmehr scheinen alle – Gegner und Sympathisanten der 68er – davon überzeugt, die Bewegung der deutschen 68er-Jugend müsse vor allem als Aufbegehren der Kinder gegen ihre Naziväter, als Kampf gegen Verdrängen und Verschweigen der Naziverbrechen durch die Kriegs- und Nachkriegserwachsenen gedeutet werden. Eine akzeptierte These, gegen die ich noch kaum Widerspruch gehört habe.

Nur stimmt sie nicht. 68 war gar keine deutsche Bewegung. Die deutschen Studierenden übernahmen ihre Überzeugungen aus Frankreich und den USA (stellvertretend seien Paris und Berkeley genannt). Die Proteste der Kernzeit richteten sich gegen den Kapitalismus und gegen den Vietnamkrieg. Die französischen und US-amerikanischen Studis hatten überhaupt keine Naziväter, gegen die sie protestieren konnten. Deshalb spielte dieser Aspekt bei ihnen keine und über Jahre hinaus in Westdeutschland und West- Berlin allenfalls eine marginale Rolle. Die Baader-Meinhof-Gruppe eingeschlossen. Interessant auch die fehlende empirische Neugier. Keiner der engagierten Linken wollte wirklich wissen, wie es in der Gegenwelt der sozialistischen Lager wirklich aussah. Das wurde aus der Theorie abgeleitet. In (west)deutschen und (West)Berliner Flugblättern und auf deutschen Uni-VVs ging es fast nie um Bewältigung der deutschen Vergangenheit. Erst viel später, dann aber zunehmend, wurden und werden die deutschen 68er nicht mehr als internationaler, geradezu weltweiter Aufbruch verstanden, sondern auf ein spezifisch deutsches Phänomen reduziert, das man mit einer spezifisch deutschen Erklärung interpretieren kann. Auch Götz Aly verlässt – nach allem was ich über sein Buch gelesen habe – das nationale Deutungsmuster nicht.

Warum widerspricht da eigentlich keiner? Es sind doch so viele dabei gewesen! Sucht man sich nachträglich, als ethisch hochwertigsten Motiv, den Widerstand gegen den Faschismus heraus? Die Gegner konzedieren dies Motiv als herablassende Entschuldigung, dem man noch am ehesten Verständnis entgegenbringen könne. Denen, die mitgemacht haben, gilt es als verklärende Rechtfertigung ihres heroic ages. Das verstellt aber die Erkenntnis der historischen Fakten.

Prof. Dr. Harald Weydt,

Berlin-Zehlendorf

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