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Meinung: Brauchen wir wirklich einen verkaufsoffenen Sonntag?

Kirchen klagen gegen Verkauf am Sonntag Katholische und evangelische Kirche wollen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Sonntagsverkauf Beschwerde einlegen mit der Begründung, „ihre Einwände seien nicht angemessen gehört worden“. Offenbar sind die Kirchen über ihre schwindende Macht und geringen Einfluss auf die Veränderungen in der Gesellschaft derart gekränkt und empört, dass sie wie auch schon beim Religionsunterricht nur noch mithilfe des Verfassungsgerichts ihre Forderungen und Ansprüche, wie Menschen ihr Leben zu gestalten haben, durchzusetzen vermögen.

Kirchen klagen gegen Verkauf am Sonntag

Katholische und evangelische Kirche wollen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Sonntagsverkauf Beschwerde einlegen mit der Begründung, „ihre Einwände seien nicht angemessen gehört worden“. Offenbar sind die Kirchen über ihre schwindende Macht und geringen Einfluss auf die Veränderungen in der Gesellschaft derart gekränkt und empört, dass sie wie auch schon beim Religionsunterricht nur noch mithilfe des Verfassungsgerichts ihre Forderungen und Ansprüche, wie Menschen ihr Leben zu gestalten haben, durchzusetzen vermögen. Es steht zu befürchten, dass die Kirchenfürsten mit ihren Anliegen künftig mehr Zeit in Gerichtssälen verbringen werden als in ihren eigenen Gebetshäusern.

Die Regeln in einem multireligiösen Staat bestimmt allein die Politik, und zwar für alle Bürger, seien sie Christen, Juden, Islamisten, Ungetaufte oder Abtrünnige. Es ist daher höchst anmaßend, wenn die Kirchenvertreter glauben, sie könnten ihre Vorstellungen über die Gestaltung eines bestimmten Wochentages der gesamten Gesellschaft aufzwingen. Der große Erfolg der verkaufsoffenen Sonntage beweist doch, dass es hierfür ein Bedürfnis gibt, und warum sollte man das unterbinden wollen? Die Menschen leben nicht von Gottes Lohn, sondern davon, dass die Wirtschaft rundläuft. Es ist auch keineswegs ein „kulturelles Unglück“, wenn zu den Millionen Arbeitnehmern, die jetzt schon sonntags tätig sein müssen, nun ein paar tausend Verkäuferinnen hinzukommen, die ihren Job auch wegen der hohen Zuschläge überwiegend gerne tun. Weiter ist anzunehmen, dass es für einen Gott völlig unbedeutend ist, an welchem Wochentag seine Verehrung und Lobpreisung stattfindet. Weshalb durch einen verkaufsoffenen Sonntag die Religionsfreiheit gefährdet sein soll, ist insofern nicht nachvollziehbar. Schließlich müssen Andersgläubige in unserem Land an ihren eigenen hohen Feiertagen ja auch weiter ihrer Arbeit nachgehen.

Kurt Mattich, Berlin-Charlottenburg

Sehr geehrter Herr Mattich,

das ist ein hohes Lob der Freiheit, das Sie in Ihrem Leserbrief singen. Wieso soll eine Minderheit der Mehrheit etwas aufzwingen? Sind die Kirchen denn alle voll am Sonntag? Und wer unbedingt beten will, kann das ja auch, wenn nebenan das Kaufhaus geöffnet ist. Schließlich hat niemand verlangt, dass der Tempel selbst zum Kaufhaus wird. Warum soll also nicht jeder machen, was er mag, am Sonntag wie an den anderen Tagen auch? Vielleicht versuchen wir es einmal andersherum. Ist nicht der freie Sonntag ein Geschenk der Christenmenschen an die Gesellschaft? Niemand verlangt, dass alle beten sollen. Es gibt das Angebot, dass alle einen Ruhetag haben. Die schöne Idee, tatsächlich aus dem Alltag auszusteigen, den Rhythmus zu unterbrechen und sich anderem zu widmen. Nun mögen Sie einwenden, das könne man an jedem andern Tag auch. Damit hätten sie zunächst recht. Allerdings bleibt in hochflexibler und -mobiler Zeit die Frage, wann eigentlich Menschen, ob nun Familien oder Freunde, zusammen sein können. Wann sollen Kinder und Eltern etwas gemeinsam unternehmen, außer natürlich vereint vor den Auslagen der Schaufenster zu stehen und zum Shoppen zu gehen. Ist nicht auch dafür eine Pause angebracht? Sollen wir sie nicht uns allen gönnen? Worin genau besteht denn der Erfolg der verkaufsoffenen Sonntage? Insgesamt wird jedenfalls nicht mehr Geld ausgegeben, wenn auch noch sonntags geöffnet ist. Weniger Zeit für sich und die Ihren haben allerdings etwa 2,7 Millionen Beschäftigte im Einzelhandel, nicht ein paar tausend, wie Sie sagen. Dass einige davon auf die Zuschläge angewiesen sind, spricht nicht für Sonntagsöffnungszeiten, sondern für Lohnerhöhungen. Ich bin sicher, dass uns die Freiheit, frei zu haben, guttut. Und zwar nicht jeder in der Familie an irgendeinem Tag, sondern gemeinsam am Sonntag. Der Sonntag ist „als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erbauung gesetzlich geschützt“. So steht es im Grundgesetz. Unabhängig davon, welchen Einfluss die Kirchen heute in Deutschland haben und wer ihn zu groß oder zu gering finden mag – an der Bedeutung des freien Sonntags für alle in unserer Gesellschaft ändert dies nichts. Der Wechsel von Arbeit und Ruhe gehört zum Menschen. Übrigens auch in anderen Religionen. Wenn die Kirchen nun um Klärung beim Bundesverfassungsgericht nachsuchen, dann nicht aus verletzter Eitelkeit oder um ihrer selbst willen. Sie erheben ihre Stimme, um den grundsätzlichen Konsens über den Schutz des Sonntags zu wahren. Zu Recht weisen sie darauf hin, dass etwas verloren zu gehen droht. Sie sind mit ihren Befürchtungen nicht allein. Gewerkschaften, Familienverbände sind an ihrer Seite. Und natürlich fühlen sich Christinnen und Christen in ihrer Sonntagsruhe gestört, wenn der Sonntag kein freier und Feiertag mehr ist. Lieber Herr Mattich, seien Sie so frei, sich frei zu nehmen am Sonntag, und gönnen Sie Christen und Nichtchristen die gemeinsame freie Zeit. Vielleicht schreiben Sie ja am Sonntag auch wieder einen interessanten Leserbrief.

Mit sehr herzlichem Gruß

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