zum Hauptinhalt

Meinung: Dürfen Wohnungen zum Spekulationsobjekt werden?

„Wohnungen für die Börse / Finanzinvestoren wollen Aktien der Berliner Immobiliengesellschaft GSW bis Juni verkaufen / Größte Erstnotiz seit vier Jahren“ von Henrik Mortsiefer vom 10. April Die Finanzinvestoren Cerberus und Whitehall hatten die GSW im Jahr 2004 für 405 Millionen Euro vom Land Berlin gekauft – mitsamt den Schulden von etwa 1,56 Milliarden Euro.

„Wohnungen für die Börse / Finanzinvestoren wollen Aktien der Berliner Immobiliengesellschaft GSW bis Juni verkaufen / Größte Erstnotiz seit vier Jahren“ von Henrik Mortsiefer vom 10. April

Die Finanzinvestoren Cerberus und Whitehall hatten die GSW im Jahr 2004 für 405 Millionen Euro vom Land Berlin gekauft – mitsamt den Schulden von etwa 1,56 Milliarden Euro. Beim nun geplanten Börsengang könnten die Eigentümer geschätzt 800 bis 900 Millionen Euro einnehmen, die aber wohl zum größten Teil nicht in das Unternehmen fließen, sondern in die Taschen der derzeitigen Eigentümer.

Was bedeutet das für die Mieter der GSW? Cerberus und Whitehall hatten beim Kauf zugesagt, die sozial- und wohnungspolitischen Ziele der GSW fortzusetzen und „breiten Schichten der Bevölkerung preiswerten Wohnraum“ zur Verfügung zu stellen. Sicher ist, dass jemand, der an der Börse investiert, mit seinem Investment Geld verdienen möchte. Deshalb ist es gut möglich, dass neue Großaktionäre eine andere Geschäftspolitik anstreben, zumal die GSW in den vergangenen Jahren bereits massiv rationalisiert hat, vor allem beim Personal und bei den Kosten. Viel Spielraum, um die Renditeerwartungen künftiger Eigentümer zu erfüllen, gibt es da nicht mehr.

800 000 stadt- oder landeseigene Wohnungen haben Politiker bundesweit günstig an internationale Investoren verkauft und damit ihre Haushalte saniert. Ich meine, das war kurzsichtig gehandelt, heute häufen sich die Klagen der Bewohner: drastische Mieterhöhungen, mangelhafte Instandhaltung oder fehlende Modernisierung. Nur so können viele Investoren offensichtlich ihre ehrgeizigen Renditevorgaben einhalten.

Kann sich Berlin so etwas leisten? Welche sozialen Folgen hätte es, wenn immer weniger bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht? Münchner Einkommen haben wir in Berlin jedenfalls nicht, insofern können wir uns auch keine Münchner Mieten leisten. Das sollte bedacht werden, wenn darüber nachgedacht wird, Mietwohnungen an die Börse zu bringen oder weitere landeseigene Wohnungen an Heuschrecken zu verkaufen.

Joachim Groß, Berlin-Spandau

Sehr geehrter Herr Groß,

Ihre Befürchtungen und kritischen Fragen zum geplanten Börsengang der GSW und dessen Auswirkungen auf die Berliner Mieter kann ich gut nachvollziehen. Allerdings: Unser Berlin ist noch immer eine Metropole, in der für alle Bevölkerungsgruppen und -schichten in allen Stadtteilen bezahlbarer Wohnraum zu finden ist. Das muss auch so bleiben. Jedoch, es ist keine Selbstverständlichkeit. In anderen europäischen Metropolen und Großstädten sind einkommensschwächere Haushalte aus ihren Lebensräumen verdrängt worden und mussten in periphere Lagen abwandern. In Berlin ist dies bis heute nicht der Fall; hier ist die Wahl des Wohnstandortes kein Privileg bestimmter Einkommensschichten. Wir sollten diesen Erfolg nicht kleinreden.

Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass unsere Stadt sich nicht vollständig den Auswirkungen der Globalisierung und damit verbundenen Marktlogiken entziehen konnte. Die internationalen Rankings der Immobilienmärkte beeindruckten auch die Berliner Politik. Die Folge war der Verkauf der GSW an die Finanzinvestoren Cerberus und Whitehall im Jahr 2004. Begründet wurde dieser Schritt mit der angespannten Haushaltslage der Stadt.

In der Berliner Sozialdemokratie wird dieser Verkauf heute durchaus kritisch gesehen und aus den Erfahrungen werden politische Konsequenzen gezogen: Wohnungs- und Mietenpolitik als Teil der Daseinsvorsorge rückt wieder in das Zentrum unserer Stadtpolitik. Die Berliner SPD wird weitere Wohnungsbestände nicht mehr an in- oder ausländische Finanzinvestoren verkaufen oder in den Besitz börsennotierter Kapitalgesellschaften übergehen lassen. Diese Klarstellung ist gut und zeigt Wirkung. Der Rückzug der internationalen und kapitalkräftigen Investorengruppen ist ein deutlicher Beleg.

Aber die Realität im Fall der GSW liegt anders. Dieses Unternehmen ist bereits verkauft worden und ein (zumindest teilweiser) Börsengang steht unmittelbar bevor.

Die nunmehr anstehende Entscheidung im Berliner Abgeordnetenhaus reduziert sich auf die Abwägung, ob einem vollständigen Börsengang zugestimmt werden soll oder nicht. Wer kein Ideologe ist, hat abzuwägen zwischen den zusätzlichen Einnahmen für den Berliner Haushalt und den langfristigen Auswirkungen auf die Mieter. Aufgrund selbst gewonnener Erfahrungen mit der privatisierten GSW sind für mich negative Auswirkungen auf die GSW-Mieter wahrscheinlich, was bisher weder vom Senat noch vom Unternehmen zufriedenstellend ausgeräumt werden konnte. Das Verhandlungsergebnis des Senates bietet nicht den Schutz vor unkalkulierbaren und ungerechtfertigten Mietsteigerungen und damit Entwurzelungsprozessen.

Gegenwärtig werde ich meine Zustimmung zu einem vollständigen Börsengang der GSW verweigern. Wie sagte es Ministerpräsident Kurt Beck? Man läuft nicht zweimal mit dem gleichen Kopf gegen die gleiche Wand.

Mit freundlichen Grüßen

— Dr. Michael Arndt, wohnungspolitischer

Sprecher der SPD-Fraktion

im Berliner Abgeordnetenhaus

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false