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Meinung: Genügt unser Strafrecht den Anforderungen der heutigen Gesellschaft?

„Der Mordfall Sürücü“ vom 15. April 2006 Da zeigt es sich wieder: Sogar morden kann man in unserem Land, und kommt mit 9 Jahren Jugendstrafe davon.

„Der Mordfall Sürücü“ vom 15. April 2006

Da zeigt es sich wieder: Sogar morden kann man in unserem Land, und kommt mit 9 Jahren Jugendstrafe davon. Die wahrscheinlichen Mittäter werden freigesprochen, weil man ihnen nichts nachweisen kann. Bei diesem Strafmaß würde es mich nicht wundern, wenn die Zahl der so genannten Ehrenmorde bei uns zukünftig ansteigt, die Täter haben in Deutschland ja letztlich nichts zu befürchten. Über die nun anstehenden wohl nur sechs abzusitzenden Jahre Haft lacht der junge Mann doch nur. Und wenn er dann als 24-Jähriger wieder auf freien Fuß kommt, hat er im Gegensatz zu seiner dann immer noch toten Schwester noch sein ganzes Leben vor sich und lässt sich von seiner Familie als „Märtyrer“ feiern.

Nicht dass man mich falsch versteht – in dubio pro reo, das ist in jedem Fall richtig. Ich bin froh in einem Rechtsstaat zu leben, in dem man nicht willkürlich eingesperrt werden kann.

Aber das bei Morden wie dem an Hatun Sürücü oder – zum Beispiel – dem an dem Zehlendorfer Jungen im vergangenen Jahr das Jugendstrafrecht angewendet werden kann, ist mir absolut unverständlich. Wer Straftaten begeht wie ein Erwachsener, sollte zumindest bei schweren Delikten auch wie einer bestraft werden. Mit 18 Jahren ist man bei uns volljährig, das heißt, man ist voll geschäftsfähig, kann also Verträge abschließen, heiraten den Führerschein machen – kurz gesagt, man muss in allen Bereichen die Verantwortung für seine Taten übernehmen. Nur bei Straftaten gilt man plötzlich wieder als Jugendlicher.

In der Friede-Freude-Eierkuchen-Gesellschaft der siebziger und achtziger Jahre war das sicher angemessen, in unserer heutigen Gesellschaft erscheint mir unser Strafrecht dringend überholungsbedürftig. Mörder und Sexualstraftäter gehören für immer weggesperrt – auch junge.

Markus Methner, Berlin-Treptow

Sehr geehrter Herr Methner,

eine junge Frau wurde ermordet, weil ihre Lebensweise nicht den Ehr- und Moralvorstellungen ihrer Familie entsprach. Die Empörung über dieses Verbrechen teile ich uneingeschränkt. Auf eine solche Tat muss die Justiz hart und konsequent reagieren. Dabei muss sie rechtsstaatliche Grundsätze und die Leitlinien unserer Rechtsordnung – einschließlich des Jugendstrafrechts – beachten. Die Justiz in Deutschland ist unabhängig. Dieser Grundsatz ist eine der tragenden Säulen unseres Rechtsstaats. Wir dürfen die Prinzipien unserer Rechtsordnung nicht über Bord werfen, auch wenn ein Urteil in der Öffentlichkeit kritisiert wird. Gerichte entscheiden nicht aus dem Bauch heraus, sondern würdigen Beweise als Grundlage ihrer Entscheidung. Konkrete Vorwürfe müssen in einem Rechtsstaat im Einzelfall einwandfrei nachgewiesen werden. Wenn eine Schuld nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden kann, ist eine Verurteilung nicht möglich.

Die Schuld hat das Gericht nur hinsichtlich des jüngsten Bruders, der seine Schwester erschossen hat, als erwiesen angesehen. Er wurde als Heranwachsender nach Jugendstrafrecht zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und drei Monaten verurteilt. Das ist annähernd die härteste Strafe, die es bei einer gesetzlichen Höchststrafe von zehn Jahren im Jugendstrafrecht gibt. Dieses Höchstmaß der Jugendstrafe gilt in Deutschland nicht erst seit den 70er oder 80er Jahren, sondern bereits seit dem ersten Jugendgerichtsgesetz von 1923. Diesem Strafmaß liegt die Einschätzung zugrunde, dass einem jungen Menschen, der sich noch in der Entwicklung befindet, nicht der gleiche Schuldvorwurf gemacht werden kann wie einem Erwachsenen – besteht doch bei einem Jugendlichen generell noch eine größere Chance, dass er sich zum Positiven verändert. Diese Chance dürfen wir jungen Menschen nicht von vornherein nehmen.

Hintergrund des Jugendstrafrechts ist, dass es sich bei Jugendkriminalität meist um vorübergehende Entgleisungen handelt, die bei vielen jungen Menschen während der Einordnung in das soziale Leben der Erwachsenenwelt auftreten können. Das Jugendstrafrecht macht jungen Straftätern deutlich, dass die Normen der Gesellschaft verbindlich sind. Zu beachten ist dabei aber, dass sich eine übermäßige Strafe entwicklungsschädlich auswirken kann. Die größere Formbarkeit junger Straftäter rechtfertigt, dass sich insbesondere die Rechtsfolgen des Jugendstrafrechts von denen des allgemeinen Strafrechts unterscheiden. Während sich dort die Höhe der Strafe maßgeblich nach der Schuld des Täters bemisst, stehen im Jugendstrafrecht erzieherische Gesichtspunkte im Vordergrund. Jugendstrafrecht ist Erziehungsstrafrecht. Nicht Sühne, Vergeltung oder Abschreckung, sondern Erziehung, Sozialisation und Resozialisierung bestimmen Art und Maß der Reaktion auf eine Straftat und begrenzen das Höchstmaß einer Strafe. Diese Grundentscheidung entspricht den Anforderungen eines zeitgemäßen Strafrechts. Auf heranwachsende Straftäter bis zu 20 Jahren findet das Jugendstrafrecht auch nur dann Anwendung, wenn sie im Einzelfall in ihrer Entwicklung noch einem unter 18-jährigen Jugendlichen gleichstehen.

Mit freundlichen Grüßen

— Brigitte Zypries (SPD),

Bundesministerin der Justiz

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