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Meinung: Menschen spielen Rollen, nicht Institutionen

Zum Interview mit Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) vom 12. JuliWäre die Selbstverständlichkeit, Verantwortung für sein eigenes, auf bewussten Entscheidungen beruhendes Handeln zu haben, nicht ein für die Aufarbeitung der deutschen Geschichte im 20.

Zum Interview mit Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) vom 12. Juli

Wäre die Selbstverständlichkeit, Verantwortung für sein eigenes, auf bewussten Entscheidungen beruhendes Handeln zu haben, nicht ein für die Aufarbeitung der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert zentrales Problem, dann könnte man das Interview mit Ministerpräsident Dieter Althaus undiskutiert übergehen. Da aber Althaus auf die Frage, ob die Vergangenheit differenzierter untersucht werden müsse, antwortet, dass es entscheidend sei, die „DDR-Strukturen genauer zu betrachten“, verlangt dieser Hinweis eine Ergänzung. Man kann – fährt Althaus weiter fort – „einen Rat des Kreises nicht allgemein als verantwortlich bezeichnen. (...) In Berlin war das Politbüro die Machtzentrale, im Bezirk oder Kreis waren es Bezirks- und Kreisleitung der SED.(...) Die Blockparteien haben dabei eine gewisse Rolle gespielt, das ist keine Frage, aber die eigentliche Verantwortung für 40 Jahre Diktatur hat die SED getragen“.

Verantwortung taucht bei Althaus immer nur als institutionelle Verantwortung auf. Dass Institutionen – bis hin zu den „Blockparteien“ – nur durch natürliche Personen handeln, welche dafür die personale, dem eigenen Tun zuzurechnende Verantwortung zu übernehmen haben, scheint Althaus heute unbekannt.

Anders als in einem Vortrag, den er als Vorsitzender der Schulgewerkschaftsleitung (SGL) der POS-W.-Seelenbinder-Schule (Geismar) anläßlich der Tagung des Volksbildungsaktivs am 25.8.1989 – der Zusammenbruch der DDR schien eine Frage von Wochen zu sein – hielt. Im Mittelpunkt der Ausführungen steht der Begriff der eigenen Verantwortung: „Die Gesellschaft erwartet von jedem Pädagogen Verantwortung und Engagement (…). Das ist der politische und tiefst humanistische Auftrag für jeden Pädagogen unserer Republik.“ Die Schulgewerkschaftsleitung in Geismar fühle sich „verantwortlich“dafür, jeden „Kollegen zu einer guten politisch-ideologischen (…) Arbeit herauszufordern“. Denn – so an anderer Stelle im Text: „Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist die politisch-ideologische Arbeit“. Dazu bedarf es – so Althaus – des „politischen Weitblicks“ und eines „feste(n) Klassenstandpunktes“. Manchmal sei es allerdings schwierig, „auch bei festestem Standpunkt“ eine Antwort zu finden: „Mitdenken, sich zuständig fühlen und engagiert handeln, darin wollen wir noch weiter vorankommen. Ich denke besonders an die Probleme Jugendweihe, militärischer und pädagogischer Nachwuchs. (…) Vor allem wenden wir uns in unserem Oberschulbereich im Grenzgebiet in Vorbereitung des 40. Jahrestages unserer Republik der Frage zu: Wie schaffen wir es, unseren Schülern die Werte des Sozialismus als moralisch erstrebenswert erkennen und erleben zu lassen, um sich dafür zu entscheiden und entsprechend zu handeln?“

Dieses Dokument veranschaulicht, wie unhistorisch der Satz: die „Blockparteien haben dabei eine gewisse Rolle gespielt“ ist. Menschen spielen Rollen, nicht Institutionen. Sie tragen Verantwortung. Niemand hat einen Anspruch auf moralische Rechenschaftslegung für die Entscheidungen und Handlungen des oder der anderen. Wir müssen aber wahrhaft sein und die Verantwortung dort suchen, wo sie einzig hingehört: zum handelnden Individuum nicht in abstrakte Sozialgebilde wie SED oder Bezirksräte. Dies wäre ein großer Schritt zur tatsächlichen Aufarbeitung der deutsch-deutschen Geschichte. Ein Ministerpräsident hat dafür eine besondere Amtsverantwortlichkeit.

Prof. Dr. Raban Graf von Westphalen,

Großbodungen

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