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Meinung: Schule ohne Mission

„Alles unter Kontrolle/Der Senat von Berlin will Religion nicht als Wahlpflichtfach – wovor hat er Angst?“ von Gerd Appenzeller, 23.

„Alles unter Kontrolle/Der Senat

von Berlin will Religion nicht als Wahlpflichtfach – wovor hat er Angst?“

von Gerd Appenzeller, 23. September

Ich bin Schülerin in Steglitz und in der 9. Klasse. Ich kann nicht verstehen, warum der Senat so gegen ein Wahlpflichtfach Ethik/Religion ist. Endlich darf ich als Schülerin in der Schule in eigener Sache mal eine Entscheidung treffen – das ist doch mein demokratisches Recht, dachte ich. In Religion kann ich außerdem ganz anders über die wichtigen Dinge in meinem Leben reden als mit der ganzen Klasse in Ethik. Redet ihr doch z. B. mal persönlich über eure Erfahrungen mit der Liebe mit dem Lehrer vorn und über 30 Mitschülern im Raum, liebe Politiker. Ich hab darauf jedenfalls keinen Bock. Über wichtige Fragen kann man so einfach nicht offen reden. Auch für Ethik wäre es übrigens toll, wenn da weniger Schüler sitzen würden. Die könnten dann auch ganz anders miteinander ins Gespräch kommen. Also echt, ich finde die Haltung von Rot-Rot ist einfach ein „no go“!

Anna-Isabella Biernath, 14 Jahre,

Berlin-Zehlendorf

Der Autor behauptet ernsthaft, „die Gesellschaft im Osten“ wäre heutzutage ethisch gefestigter, wenn es dort Religion als Wahlpflichtfach gegeben hätte. Man kann sich darüber streiten, weshalb dort die Maßstäbe verloren gegangen sind. Aber mit mehr Gottvertrauen werden auch keine Arbeitsplätze geschaffen. Und wie war das in der Nazizeit? Trotz Religionsunterricht wurden viel zu viele Christen zu Mördern und Verbrechern.

Religionsunterricht einer Konfession kann nie einen übergreifenden Ethikunterricht ersetzen. Die aus Steuermitteln finanzierte Schule hat den Auftrag zu bilden und nicht zu missionieren. Im Ethikunterricht sollen junge Menschen angeregt werden, sich mit unterschiedlichsten ethischen und moralischen Grundsätzen auseinanderzusetzen. Glaubenslehre dagegen soll zum „rechten Glauben“ nur einer Religionsgemeinschaft führen. Die dogmatische Abgrenzung des derzeitigen Papstes zu den Protestanten zeigt, wie ideologisch gefärbt die Frage nach dem „richtigen Glauben“ ist. Die Schule aber darf nicht parteilich unterrichten. Sie soll die Schüler dazu befähigen, sich mit den verschiedensten Glaubensrichtungen zu beschäftigen. Nur so kann man sich unbeeinflusst eine Meinung bilden und für eine Religion entscheiden.

Der Kommentator weist darauf hin, dass in fast allen anderen Bundesländern Religion als Wahlpflichtfach gewählt werden darf. Wenn viele etwas machen, ist damit noch nicht bewiesen, dass es richtig ist. Die Lobby der großen Religionsgemeinschaften auf die Politik ist seit Jahrhunderten stark. Der Staat verhält sich gegenüber den Kirchen nicht neutral. Das Kruzifix in katholischen Schulen ist nur der äußere Beweis dafür. Gehälter von Bischöfen, Katecheten und kirchlichen Verwaltungsangestellten, kirchliche Sozialdienste, Militärseelsorge, Pfarrerstudium, Kirchentage, Pensionen, Glocken und Orgeln: alle Steuerzahler finanzieren das mit – egal ob und was sie glauben.

Religion müsse auch deshalb Wahlpflichtfach bleiben, so Appenzeller, weil „das Abendland“ durch ein „geistig-kulturelles Erbe“ geprägt sei, wie z. B. das Christentum und die Aufklärung. Weshalb blendet er aus, dass unser kulturelles Erbe auch für Kriege, Völkermord, Wirtschaftskrisen, Umweltzerstörung usw. verantwortlich ist? Nicht selten mit Billigung der christlichen Kirchen.

Wir leben in einer Stadt, in der es viele Religionsgemeinschaften gibt. Der Bau von Moscheen ist nur ein Beispiel dafür, wie konfliktreich das sein kann. Wir erfahren tagtäglich, welches Leid weltweit durch religiös motivierte Auseinandersetzungen entstehen kann. Viele junge Deutsche sind für längere Zeit im Ausland. Wer es unter heutigen Bedingungen nicht schafft, sich auch mit den Dogmen von Religionen auseinanderzusetzen, wird es schwer haben im Leben – im Großen wie im Kleinen. Deshalb ist ein gemeinsamer Ethikunterricht für alle überlebensnotwendig.

Rolf Blaga, Berlin-Wittenau

Kindern sollen Werte vermittelt werden. Ja und noch einmal ja. Aber wozu müssen sich dafür unsere Kinder mit den wundersamen Überzeugungen des Kirchenvaters Augustinus, den – im wahrsten Sinne des Wortes – wunderschönen schaurigen Geschichten des Alten Testaments und einer Glaubensvermittlung der Kirche auseinandersetzen, die heute für viele Menschen nicht mehr zeitgemäß sind?

Ich halte es für fatal, den Schülern in getrennten – katholischen, evangelischen, islamischen und jüdischen – Unterrichtsstunden unterschiedliche Werte zu vermitteln. Die Chance der Auseinandersetzung mit Andersdenkenden geht dabei den Jordan hinunter.

Gerd Maaß, Berlin-Lankwitz

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