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Meinung: Sind die Unternehmen selbst schuld am Nachwuchsmangel?

„ Ausbildungsmarkt. So viele Stellen wie nie, aber der Nachwuchs fehlt“ vom 17.

„ Ausbildungsmarkt. So viele Stellen wie nie, aber der Nachwuchs fehlt“ vom 17. August

Dass immer häufiger der Nachwuchs fehlt, ist der Wirtschaft doch seit langem bekannt. Die Unternehmen sind aber selber schuld, wenn sie keine Auszubildenden finden. Überspitzt dargestellt: Wenn selbst Bäcker- oder Schlosserlehrlinge heute möglichst Abitur haben sollen, ist etwas schiefgelaufen in Deutschland – und zwar mit den Ansprüchen der ausbildenden Betriebe, nicht mit den Jugendlichen Bewerbern ohne Abi. Auch Realschüler sind meist alles andere als dumm und hoch motiviert, wenn ein Betrieb ihnen eine berufliche Perspektive anbietet. Das sollten die Betriebe beherzigen.

Hartmut Jensen, Berlin-Schöneberg

Das Problem des Nachwuchsmangels ist seit langem bekannt und wurde immer wieder thematisiert. Zum Teil ist das Problem auch hausgemacht, weil viele Betriebsinhaber sich weder in den allgemeinbildenden Schulen um Nachwuchs bemüht haben, noch Berufsperspektiven aufgezeigt haben. Hinzu kommt, dass man lieber einen Abiturienten suchte – möglichst nur mit einem guten Durchschnitt – für Berufe, in denen ein normaler Hauptschulabschluss ausreicht.

Eine Abiturientin ist für den Beruf der Bürokauffrau überqualifiziert, denn sie hat immerhin eine Studienberechtigung erworben. Da wir eine grundgesetzlich garantierte Berufswahlfreiheit haben, ist es natürlich jedermann freigestellt miteinander einen Ausbildungsvertrag abzuschließen.

Dieter Hölterhoff, Potsdam

Sehr geehrter Herr Jensen,

Sehr geehrter Herr Hölterhoff,

ich freue mich darüber, dass die Unternehmen in Deutschland wieder mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Aber, nur weniger als ein Viertel aller Betriebe bildet überhaupt aus. Nur die Hälfte aller Betriebe mit Ausbildungsberechtigung nutzt diese Chance. Über 300 000 Jugendliche gelten als sogenannte Altbewerber, die sich schon ein, zwei oder mehr Jahre bewerben. Immer mehr Jugendliche sind in einem Übergangssystem – mangels Ausbildungsplatz – gelandet: in Berufsvorbereitungsmaßnahmen, im Berufsgrundbildungsjahr (BGJ) oder Berufsvorbereitungsjahr (BVJ), in Einstiegsqualifikationen (EQJ) oder in einer Berufsschule. Sie werden älter und älter. Wenn Unternehmen dann diese Jugendlichen, die sich seit Jahren vergeblich beworben haben, als sogenannte Altbewerber nicht einstellen, ist das ein Skandal.

Fachkräfte fallen nicht vom Himmel. Über Jahre haben Betriebe keine eigenen Anstrengungen gemacht, sondern auf dem Arbeitsmarkt die Leute eingekauft, die sie brauchten. Wer jetzt über fehlende Fachleute klagt, kann sich bei diesen Trittbrettfahrern bedanken. Dazu kommt, dass die Ansprüche der Unternehmen häufig zu hoch sind. Jugendliche seien nicht ausbildungsreif, heißt es. Es ist klar, manchen Jugendlichen täte etwas mehr Anstrengung in der Schule gut, aber Unternehmen können auch nicht erwarten, dass sie die fertigen Persönlichkeiten an der Schultür abholen können.

Ausbilder sagen uns immer wieder, wie sehr die Ausbildungszeit die Persönlichkeit prägt. Wer feststellt, dass er kann, was er sich bisher nicht zugetraut hätte, dessen Selbstvertrauen wächst enorm. Arbeitgeber müssen auch schwächeren Jugendlichen diese Erprobungschance geben. Zudem scheinen viele Betriebe vergessen zu haben, dass es sich bei einer Ausbildung eben um eine Phase des Lernens und Qualifizierens handelt. Jugendliche, die nicht nur Stärken, sondern auch Schwächen mitbringen, sind ein deutlich unterschätztes Potential. Aber sie können auch zu einem sozialen Problem werden, oder sind es schon. Deshalb sagt der DGB: wir brauchen ausbildungsbegleitende Hilfen als Regelangebot. Die Schweiz macht es uns vor. Sie hat ähnliche Probleme mit Jugendlichen, hilft aber mit Kursen in Mathe, Deutsch, Fachkunde oder auch mit sozialpädagogischer Begleitung, damit die Prüfung gelingt. Was hindert uns daran, das Gleiche zu tun? Viele Klein- und Mittelbetriebe werden der Verantwortung gerecht, um Jugendlichen, wie Herr Jensen richtig schreibt, eine entsprechende berufliche Perspektive zu bieten.

Mit freundlichen Grüßen

— Ingrid Sehrbrock, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)

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