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Meinung: Was sagt der Pisa-Vergleich wirklich aus?

„Verhalten optimistisch – Die PisaStudie Mathematik“ und „Besser rechnen, weiter denken“ vom 7. Dezember 2004 An der Tabelle fällt auf, dass sich in der kurzen Zeit zwischen 2000 und 2003 bei vielen Ländern die Ergebnisse beträchtlich verändert haben sollen, so rutschte Japan 23 Punkte abwärts und die USA 10 Punkte.

„Verhalten optimistisch – Die PisaStudie Mathematik“ und „Besser rechnen, weiter denken“ vom 7. Dezember 2004

An der Tabelle fällt auf, dass sich in der kurzen Zeit zwischen 2000 und 2003 bei vielen Ländern die Ergebnisse beträchtlich verändert haben sollen, so rutschte Japan 23 Punkte abwärts und die USA 10 Punkte. Umgekehrt sollen die Punkte z.B. für Deutschland um 13, für Polen um 20 gestiegen sein. Was lehrt uns die Tabelle?

Dass sich in kürzester Zeit die Leistungen der amerikanischen und japanischen Schüler verschlechtert und die der deutschen und polnischen Schüler verbessert haben, die Leistungsebene also insgesamt wie eine Achterbahn verläuft? Natürlich könnte es auch sein, dass die Ergebnisse von 2000 oder von 2003 zum Teil falsch waren. Auch wäre es möglich, dass die in den Ländern für die Prüfung ausgewählten Schülerpopulationen unterschiedlich und somit nicht vergleichbar waren. Jedenfalls ist ein derartiger Ländervergleich praktisch wertlos.

Es ist keine Rangordnung der Leistungen, sondern eine mehr oder weniger beliebige Rangfolge. Man versteht nicht, warum die Pisa-Studien in Deutschland und wohl nur hier eine solche Aufregung verursachen. Was wirklich dabei an formulierbaren Erkenntnissen herausgekommen ist, wusste man schon vorher. Also Pisa? Nein danke!

Herbert Bath, Landesschulrat a.D., Berlin-Nikolassee

Sehr geehrter Herr Bath,

ein direkter Vergleich der Gesamtpunktzahl zwischen den in Pisa 2000 und 2003 gemessenen mathematischen Schülerleistungen ist so nicht zulässig und wurde von der OECD auch nicht publiziert, da bei der Pisa-2003-Erhebung auch mathematische Teilbereiche bewertet wurden, die bei Pisa 2000 nicht berücksichtigt wurden. Wenn Sie die tatsächlich vergleichbaren Bewertungsskalen zugrunde legen sowie die statistische Fehlertoleranz derartiger Stichprobenuntersuchungen einbeziehen, so ergibt sich für die meisten Staaten ein sehr ähnliches Bild für die 2000 und 2003 gemessenen Schülerleistungen.

Für das von Ihnen genannte Beispiel Japan z.B. ist das schlechtere Abschneiden in der Gesamtwertung auf geringere Leistungen in den in Pisa 2003 neu aufgenommenen Teilbereichen Quantität sowie Wahrscheinlichkeit und Zufall zurückzuführen, während die Leistungen in den mit Pisa 2000 vergleichbaren Bereichen praktisch konstant geblieben sind. Polen verzeichnet als einziges Land signifikante Leistungsverbesserungen in allen Pisa-Leistungsbereichen, die im Wesentlichen darauf zurückzuführen sind, dass sich die Gruppe leistungsschwächerer Schüler dort deutlich verringert hat. Zwar werden auch für Belgien, die Tschechische Republik und Deutschland Verbesserungen in einigen Teilbereichen sichtbar, diese fallen aber geringer aus und für Deutschland bleibt die Gesamtleistung weiterhin deutlich unter dem Erwartungswert, der sich aus den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ergibt.

Genau wie Sie glaube ich jedoch, dass eine bloße Betrachtung des Länder-Rankings nur von sehr begrenztem Wert für Bildungspolitik und Bildungspraxis ist. Die entscheidende Stärke der Pisa-Studie liegt darin, dass sie uns erlaubt, die Stärken und Schwächen des eigenen Bildungssystems im Spiegel der Leistungsfähigkeit der erfolgreichsten Bildungsnationen zu analysieren, also derjenigen Länder, die hohe Bildungsstandards sowie eine ausgewogene Verteilung von Bildungschancen gewährleisten. Diese haben oft weniger detaillierte Lehrpläne als Deutschland, aber sie bieten Schülern, Lehrern und Schulen eine klare Vision bezüglich der Kompetenzen an, mit denen junge Menschen die Schule heute verlassen sollen, damit sie die Gesellschaft von morgen aktiv mitgestalten können. Sie verknüpfen Bildungsstandards, Lehrpläne, Rückmelde- und Unterstützungssysteme so, dass die Rolle des Lehrers nicht auf die des Wissensvermittlers reduziert wird, sondern Lehrer eingebunden sind in den Prozess der Entwicklung, und informiert über die Wirkungen ihres Handelns.

Sie machen Bildung von einer Angelegenheit der Verwaltung zu einer Sache der Handelnden, schaffen ausreichend Freiräume für Schulen, um auf Herausforderungen kreativ und innovativ zuzugehen und eine hohe Unterrichtsqualität zu gewährleisten. Und vor allem, sie individualisieren Lernen stärker und gehen mit der Verschiedenheit der Schüler konstruktiver um, indem sie auf die verschiedenen Fähigkeiten, Interessen und sozialen Kontexte junger Menschen nicht mit starren Selektionsmechanismen antworten, sondern jungen Menschen ein offenes Lernangebot anbieten, das Talente findet und fördert und Benachteiligungen ausgleicht. Pisa bietet uns die Chance, von diesen Ländern zu lernen.

— Andreas Schleicher ist Leiter der Abteilung „Indikatoren und Analysen“ bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris.

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