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Meinung: Wie kann die Politik den Bürgern Europa nahe bringen?

Zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft Das Kernproblem ist, dass vor allem in den reicheren EU-Mitgliedstaaten viele nicht wissen, was sie eigentlich von der EU haben. Wenn ich in meinem Bekanntenkreis frage, was die EU uns bringt, bekomme ich in der Regel zu hören, dass sie uns vor allem etwas kostet.

Zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Das Kernproblem ist, dass vor allem in den reicheren EU-Mitgliedstaaten viele nicht wissen, was sie eigentlich von der EU haben. Wenn ich in meinem Bekanntenkreis frage, was die EU uns bringt, bekomme ich in der Regel zu hören, dass sie uns vor allem etwas kostet.

Von den Institutionen der EU haben die meisten Bürger offensichtlich eine eher unscharfe Vorstellung. Wer von uns kennt schon die deutschen Europaparlamentarier? Wer weiß schon, welche Aufgaben und Kompetenzen und Rechte das Europaparlament, die Europäische Kommission haben? Und das ist offensichtlich nicht nur in Deutschland sondern in vielen der „alten“ EU-Staaten so, wie mir Freunde aus Frankreich und Spanien berichteten. Ängste vor dem Moloch Europäische Union, davor, dass der Einfluss des einzelnen Bürgers auf die Politik weiter schrumpft, haben letztlich mit dazu geführt, dass der Verfassungsvertrag bei den Referenden in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt wurde. Die Angst, dass weitere Kompetenzen von den Staatsregierungen, den Landesparlamenten, an Brüssel und Straßburg abgegeben werden und dass dies zu einer Verschlechterung bestehender Regelungen in den Ländern führt (jüngstes deutsches Beispiel: Verpackungsverordnung). In einem Europa mit fast 500 Millionen Einwohnern zählt eine einzelne Stimme bei Wahlen zum Europaparlament nun einmal im Verhältnis weniger als zum Beispiel bei einer Wahl in einem Land mit zum Beispiel 50 Millionen Einwohnern. Solche Ängste entstehen, weil kaum einer weiß, wo er Europa einordnen soll, es fehlen einfach die Informationen. Hier gilt es anzusetzen, wenn die europäische Verfassung noch in Kraft treten soll – in allen Staaten.

Dies den Bürgern Europas klarzumachen, ist die dringlichste Aufgabe aller europäischen Politiker. Denn zur Europäischen Union gibt es in Zeiten der Globalisierung keine Alternative!

Silvio Hausner, Berlin-Treptow

Sehr geehrter Herr Hausner,

Berlin ist während der deutschen Ratspräsidentschaft die Drehscheibe der Europapolitik. Von hier aus kommt Bewegung – da bin ich zuversichtlich – in festgefahrene Vorhaben, allen voran die europäische Verfassung. Und das Interesse der Bürgerinnen und Bürger wird sich weit mehr als sonst um europäische Themen drehen. Das ist eine gute Gelegenheit, mit manchen Vorbehalten aufzuräumen und gemeinsam in die Zukunft zu blicken. Zu den populären Irrtümern gehört in Deutschland die in Ihrem Leserbrief vorgebrachte Annahme, die EU bringe wenig und koste viel. Wenn wir die Menschen für Europa gewinnen wollen, müssen sie spüren, dass die Europäische Union einen Mehrwert bringt. Deutschland ist Exportweltmeister – mehr als acht Millionen Arbeitsplätze hängen davon ab, dass wir unsere Waren und Produkte ins Ausland verkaufen. Zwei Drittel der deutschen Ausfuhren gehen in die Länder der Europäischen Union, der Handel mit den neuen Mitgliedstaaten boomt. Die aktuelle Entwicklung bestätigt, was vor wenigen Jahren nur Optimisten zu hoffen wagten: Die Osterweiterung der Europäischen Union sichert und schafft hierzulande weit mehr Arbeitsplätze als durch die Abwanderung von Firmen in billigere Länder verloren gehen. Die meisten Menschen unterschätzen die positive Kraft und das kreative Potenzial, das bei der fortschreitenden Einigung Europas freigesetzt wird.

Die Frage, was die Menschen von Europa haben, geht indes weit über wirtschaftliche Vorteile hinaus, es geht um unsere gemeinsame Zukunft. Die rasanten Veränderungen im Zeitalter der Globalisierung, die inzwischen fast alle Lebensbereiche erfasst hat, lösen bei vielen Menschen Ängste aus, die wir ernst nehmen müssen. Wenn wir unsere europäische Lebensart bewahren und die Lebensqualität sichern wollen, müssen wir Europäer unsere Interessen bündeln und gemeinsam Verantwortung übernehmen. Da man auf globale Probleme mit nationalen Alleingängen immer weniger erfolgreich reagieren kann, ist die Weiterentwicklung der Europäischen Union die richtige Antwort. Dazu zwei Beispiele: Bei der langfristigen Sicherheit der Energieversorgung, einer Lebensader unserer modernen Gesellschaft, sind auf sich gestellte Länder verwundbar, jedoch haben 27 Länder der Europäischen Union mit fast 500 Millionen Einwohnern vereint eine enorme Nachfragemacht. Und dem globalen Klimawandel können wir mit Aussicht auf Erfolg nur mit einem gemeinsamen Politikwandel in dieser Frage begegnen, wir müssen alle zusammen umsteuern.

Europa gelingt jedoch nur, wenn mehr geschieht, als die Bündelung der Interessen auf staatlicher Ebene. Auch die Bürger müssen zunehmend die Chance ergreifen, auf einer gemeinsamen europäischen Grundlage aktiv und innovativ zu handeln. Um in einer zunehmend vernetzten Welt nicht richtungslos dahinzutreiben, müssen wir die Ziele und Werte der Europäischen Union viel deutlicher als bisher in den Mittelpunkt stellen. Von diesem Punkt aus kann das in Ihrem Leserbrief beklagte Informationsdefizit über Europa abgebaut werden, sofern auch die Medien eine aktivere Rolle spielen. Das Verständnis und die Unterstützung der Öffentlichkeit sind unverzichtbare Faktoren, damit der einstweilen blockierte Weg für den Verfassungsvertrag frei wird. Die Würde des Menschen, die Beachtung des Rechts und das Bekenntnis zur Solidarität zwischen den Völkern der Europäischen Union werden die Leitprinzipien meines Engagements als Präsident des Europäischen Parlaments sein. Das wird in naher Zukunft auch bei einem Europa-Gipfel in Berlin sichtbar werden: Am 25. März, dem 50-jährigen Jubiläum der Römischen Verträge, wird mit der „Berliner Erklärung“, gemeinsam zu verabschieden von Europäischem Rat, Europäischem Parlament und der Kommission, ein Signal gesetzt: Die verbindenden Werte werden zur Richtschnur für die Gestaltung

Mit freundlichen Grüßen

— Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering (CDU),

Präsident des Europäischen Parlaments

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