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Die Amerikaner bejubeln den Tod von Osama bin Laden - auf gerechtfertigte Art und Weise?

© Reuters

Leserdebatte: Sind die Reaktionen auf bin Ladens Tod angemessen?

Moritz Schuller hört aus den kritischen deutschen Reaktionen zum Jubel über bin Ladens Tod einen unangemessenen Hochmut heraus. Sind die Reaktionen auf bin Ladens Tod angemessen? Diskutieren Sie mit!

Im Jubel geben sich die Amerikaner wieder einmal zu erkennen: als archaische, rachsüchtige Krieger. „Was ist das für ein Land, das eine Hinrichtung derart bejubelt?“, fragt der WDR-Chefredakteur in seinem Fernsehkommentar nach dem Tod des Terroristen Osama bin Laden – und er ist nicht der einzige. Im affektgestörten Deutschland wimmelt es plötzlich von Großmuftis, die genau erklären können, warum eine Seebestattung unislamisch und somit ein Affront gegen die Muslime dieser Welt ist; von Großethikern, die beweisen, dass man über den Tod des Feindes nicht jubeln darf; und natürlich von Großjuristen, die wie immer alles besser wissen.

„Eindeutig ein Verstoß gegen das geltende Völkerrecht“, sagte Helmut Schmidt bei „Beckmann“. Derselbe Helmut Schmidt, der die Flugzeugentführer in Mogadischu durch die Antiterrortruppe GSG 9 erschießen ließ, bevor sie nach einem Anwalt fragen konnten? Hätte Schönenborn auch damals gesagt: „Mein Verständnis von einem Rechtsstaat ist es nicht, dass Mörder einfach abgeknallt werden“?

Die eindrucksvolle militärische Aktion der Amerikaner, die zum Tod des Terroristen Osama bin Laden geführt hat, ist vielen Deutschen offenbar nicht geheuer. Das Misstrauen lässt sich an den weit verbreiteten Abwehrreaktionen ablesen: Bin Laden hatte für das operative Wirken von Al Qaida gar keine Bedeutung mehr; es gab kein rechtsstaatliches Verfahren; das schnelle Entledigen des Leichnams ist verdächtig; die Rache und der Jubel der Amerikaner über einen Toten ist unzivilisiert; die muslimische Welt hatte sich längst von ihm abgewandt; alles reiner Wahlkampf. Kurz, die Aktion der Amerikaner kam zu spät und war eigentlich überflüssig. Dass die Amerikaner entscheidende Hinweise auf das Versteck bin Ladens zudem durch ihre fragwürdige Befragungsmethode in Guantanamo erhielten, entwertet die Aktion endgültig. Was soll es zu jubeln geben?

Daraus spricht ein Hochmut, alles immer besser und edler machen zu können. Die Deutschen, so klingt es, hätten bin Laden nicht erschossen, sondern bei einem nächtlichen Gespräch, juristisch einwandfrei, zur Aufgabe überredet. Und dann nach Stammheim gebracht. Nein, das wiederum hätte niemand gewollt, wie das Land ja auch in der Vergangenheit auf keinen Fall Guantanamo-Häftlinge aufnehmen wollten. Dieses Problem zu lösen, ist schließlich Sache der Amerikaner. Dieser Hochmut, der nur Schwarz und Weiß kennt, hat mit der Realität eines solchen Einsatzes nichts zu tun.

Zugleich spricht daraus eine geschichtslose Leichtigkeit, die längst das Thema gewechselt hat. Der neue Böse heißt Gaddafi, und gegen den wirkt die amerikanische Fehde gegen bin Laden nur noch nachtragend. Dass die Amerikaner sich dem Risiko eines direkten Einsatzes ausgesetzt haben, um Schaden zu begrenzen, wird bedeutungslos, wenn in Libyen bereits der Tyrannenmord auf der Tagesordnung steht. Gaddafis Sohn, nicht einmal ein Mörder, wurde vor wenigen Tagen aus der Ferne von einer Nato-Rakete abgeknallt. Das ist als Kollateralschaden offenbar diesem Land zumutbar.

Der anti-amerikanische Subtext der unenthusiastischen Reaktion auf die Tötung bin Ladens ist jedoch nicht entscheidend. Bemerkenswert ist vielmehr die Distanz, die daraus spricht. Als ob Deutschland bei diesem Krieg gegen den Terror nicht mehr beteiligt wäre. Als ob es keine Bundeswehr in Afghanistan gäbe. Als ob Mohammed Atta nicht in Deutschland gelebt hätte. Als ob die Deutschen in Dscherba an einer Fischvergiftung gestorben wären. Dabei endet mit dem Tod von Osama bin Laden auch für Deutschland erst das alles andere als ruhmreiche Kapitel vom 11. September 2001. So ungerührt sich Deutschland heute gibt, so tief ist das Land in den Krieg gegen den Terror und seine Ursachen verstrickt. Man muss sich nicht freuen, wenn man das nicht kann, man muss aber auch nicht so schamlos die Hände in Unschuld waschen.

Zehn Jahre lang blieben die Amerikaner Osama bin Laden diszipliniert auf der Spur. Die Deutschen haben diese Zeit genutzt, um sich von der eigenen Verantwortung zu lösen. So sehr, dass die deutschen Beerdigungsexperten, Außenpolitikethiker und Fernsehvölkerrechtler offenbar meinen, nun herablassend Kürnoten verteilen zu können.

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