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Negativmeldungen von Ratingagenturen schlagen derzeit tief ein. Dabei wird vielfach vergessen, was Ratingagenturen eigentlich sind.

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Leserkommentar: Wer kontrolliert eigentlich die drei Ratingagenturen?

Negativmeldungen von Ratingagenturen schlagen derzeit tief ein. Dabei wird vielfach vergessen, was Ratingagenturen eigentlich sind. Tagesspiegel-Leser Wolfgang Gerhards mahnt an, mal genauer nachzuhaken.

Berichterstattung zu Ratingagenturen

Ihre Veröffentlichungen über Bonitäten von Banken, Unternehmen und Staaten schlagen bisweilen wie Bomben ein. Deshalb sollte mal etwas genauer nachgefragt werden: Wer kontrolliert eigentlich die Ratingagenturen? Welche Interessen verfolgen sie, und was legitimiert sie, sich zum Oberschiedsrichter der Finanzwelt aufzuspielen? Diese Fragen müssen dringend beantwortet werden. Denn die öffentliche Bekanntgabe ihrer Bewertungen der Solvenzen von Banken, Unternehmen und Staaten gelten mittlerweile als gefürchtetes Orakel, das über das Schicksal ganzer Länder (Völker) entscheiden kann.

Die Ratingagenturen maßen sich die Rolle eines Weltfinanzrevisors an, ohne dazu demokratisch oder anderweitig legitimiert zu sein. Dabei regieren sie mit ihren „Befunden“ nicht selten mittelbar in die königlichen Haushaltsrechte von Regierungen und Parlamenten hinein, beschränken Entscheidungsspielräume der Politik und greifen letztendlich in Souveränitätsrechte von Staaten ein. Nicht auszuschließen, dass ihr Treiben Währungsturbulenzen auslöst und Spekulanten oder bestimmten Interessengruppen in die Hände spielt. Es scheint deshalb geboten, die selbsternannten Supervisoren mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, insbesondere wer dort wie finanziell engagiert ist? Vielleicht trägt dies alles dazu bei, den Vorschlag einer eigenen, europäischen Ratingagentur weiter zu vertiefen.

Wolfgang Gerhards, Berlin-Tempelhof

Mechthildt Schrooten lehrt Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Bremen und ist Forschungsprofessorin an DIW Berlin.
Mechthildt Schrooten lehrt Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Bremen und ist Forschungsprofessorin an DIW Berlin.

© promo

Lieber Herr Gerhards,

ja, Sie haben Recht: Negativmeldungen von Ratingagenturen schlagen derzeit tief ein. Dabei wird vielfach vergessen, was Ratingagenturen eigentlich sind. Tatsächlich handelt es sich um bei den existierenden Agenturen um privatwirtschaftliche Organisationen, die gegen Geld die
Bonität eines Schuldners einschätzen. Ihr Ziel ist es, für ihre Eigentümer Gewinne zu erwirtschaften. In den 70er Jahren wurden die heute bekanntesten Agenturen, Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch Rating, in den USA zu staatlich anerkannten Bonitätsprüfern erklärt. Das hat ihre
Position auf dem internationalen Finanzmarkt und ihre Profitaussichten immens gestärkt. Eigentumsrechtlich stehen hinter den Agenturen mit Sitz in New York nicht nur US-amerikanische Investoren – so ist auch der französische Finanzkonzern Fimalac engagiert. Noch heute wird der
Markt für Ratings von den drei Akteuren Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch Rating dominiert. Ein echter Wettbewerb ist nicht in Sicht. Zwar wurde im Gefolge der internationalen Finanzkrise 2008/2009 eine EU-Ratingverordnung erlassen. Eine im Zweifelsfall – etwa bei
folgenreichen Fehlbewertungen – hart durchgreifende staatliche Aufsichtsbehörde wurde jedoch nicht installiert. Inzwischen gibt es auch mehrere in Europa angesiedelte Ratingagenturen. Diese sind wie die mit Firmensitz in den USA in privater Hand. Anders als die
US-amerikanischen sind sie jedoch weitgehend unbekannt. Die Marktmacht der drei wichtigen Agenturen wird von den kleinen europäischen Playern nicht einmal ansatzweise in Frage gestellt. Damit bleibt dem Sektor massives Marktversagen inhärent. In einem solchen Fall muss
vonseiten des Staates nachgesteuert werden – das sagt jedes wirtschaftswissenschaftliche Lehrbuch der ersten Semester. Genau das geschieht aber nicht oder nur sehr zögerlich. Warum?

Hier fehlen offenbar politischer Mut, Fantasie und Durchsetzungswille. Theoretisch wäre die Installation einer öffentlich-rechtlichen Ratingagentur denkbar. Eine solche Institution würde sich in teilweiser Konkurrenz zu den nationalen Finanzaufsichtsbehörden bewegen, die den Finanzintermediären jeden Tag die Unbedenklichkeit bescheinigen. Das ist ein unsicherer Boden, den niemand gern betritt. Die Schaffung einer EU-Ratingagentur bedürfte erheblicher zwischenstaatlicher Koordination. Außerdem, was würde passieren, wenn die neu geschaffene Ratingagentur zu dem Ergebnis käme, dass ein EU-Staat in seiner Bonität herabgestuft werden sollte – hier droht ein substantieller politischer Interessenkonflikt. Dieser könnte systematisch die Arbeit einer solchen Agentur behindern.

Einen Ansatzpunkt zur Überwindung der vertrackten Situation bietet möglicherweise das gute alte bürgerschaftliche Engagement. Im Sommer 2011 wurde Finance Watch in Brüssel gegründet. Noch steckt diese Nichtregierungsorganisation in den Kinderschuhen. Mit der Gründung einer solchen europaweit die finanzmarktkritischen Kräfte bündelnden Organisation kommt neben den privaten Akteuren und dem Staat eine dritte Macht ins Spiel. Diese könnte das vorhandene Vakuum bei der Bewertung von Finanzmarktprodukten füllen. Kurzfristig ändert die Existenz von Finance Watch die Position der Ratingagenturen auf dem Markt nicht. Langfristig ist allerdings davon auszugehen, dass der Einfluss der finanzmarktkritischen Nichtregierungsorganisationen massiv steigt. Hier könnte eine echte Konkurrenz zu den vorhandenen Big Playern entstehen.

— Prof. Dr. Mechthild Schrooten lehrt Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Bremen und ist Forschungsprofessorin am DIW Berlin

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