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Meinung: Lob der Offenheit

Von Christoph von Marschall

Die Lage im Irak ist dramatisch. Und Präsident Bush stolpert herum zwischen den verschiedenen Auswegen, die ihm seine Berater weisen. Es ist ein beunruhigendes Bild, zumal die tägliche Mordrate im Irak belegt, dass weitere Verzögerungen bei der Suche nach der richtigen Strategie tödlich sind. Vor und direkt nach der Kongresswahl Anfang November schien klar, die USA bereiten sich auf den allmählichen Abzug in Etappen vor. Seit Ende November wurde immer vehementer das Gegenteil diskutiert: eine Aufstockung der Truppen für den letzten Versuch, die Todesmilizen militärisch zu besiegen. Am Montag und Dienstag gab Bush zu erkennen, er favorisiere diese Option, obwohl sein Generalstab sich parallel dagegen aussprach. Am Mittwoch setzte Bush eine Pressekonferenz an, um diesen Eindruck zu relativieren und gleich noch ein dramatisches Zitat vom Vortag – wir gewinnen nicht – zu dementieren.

Dennoch: Diese chaotisch wirkende, widersprüchliche Debatte ist noch mit das Beste, was die Bush-Regierung in ihrer Irakpolitik zustande gebracht hat. Viel zu lange hatte Bush Zweifel und Fragen abgewiesen, hatte den Überzeugten und Siegesgewissen gespielt. Jetzt endlich kehrt Nachdenklichkeit ein, verbunden mit dem Bewusstsein, dass die USA nicht weiter nach dem Prinzip Versuch und Irrtum verfahren können, sondern, wenn überhaupt, nur noch einen letzten Anlauf nehmen können. Die neue Strategie muss fehlerfrei sein, und deshalb ist es wichtiger, alle Aspekte zu Ende zu diskutieren, als Hals über Kopf eine Politikwende einzuleiten. Dazu gehört es auch, alle Beteiligten für diese neue Strategie zu gewinnen. Der Eindruck eines Präsidenten, der sich erst über die Vorschläge der Irakkommission hinwegsetzt und den Rat seiner obersten Militärs ignoriert, wäre der sichere Weg ins Scheitern.

In vielen Schlüsselfragen gibt es gute Argumente für beide Seiten. Die Morde zwischen Schiiten und Sunniten nehmen zu, die Iraker können sie offenbar nicht stoppen. Das spricht für mehr US-Truppen. Aber in Bagdad, wo die US-Armee diesen Ansatz im Sommer probte, kam nach anfänglichen Erfolgen das Gegenteil heraus: mehr Gewalt, nicht weniger. Bush muss sich Zeit nehmen, die Experten anzuhören, die Öffentlichkeit sollte sie ihm geben. Und am besten schweigt der Präsident, bis er weiß, was er will.

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