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Meinung: Macht ohne Metaphysik

Was wäre wenn (4) – in Deutschland Rot-Gelb regierte

Von Stephan-Andreas Casdorff

Für Jürgen Wilhelm Möllemann, den George Best der deutschen Politik, ist das Spiel schon entschieden. Die FDP wird gewinnen, will heißen: Sie wird regieren. Mit wem? „Wir können mit beiden“, sagt Möllemann. Was, mal abgesehen von der Unionsaffinität der meisten freidemokratischen Granden, zu beweisen wäre.

Und möglicherweise jetzt bewiesen werden soll. Erstens wird gerade die Abkehr vom Möllemannschen Projekt 18, also dem Versuch, nach zum Beispiel holländischem Vorbild eine kleine Volkspartei zu werden, vollzogen, was heißt: Die FDP wird wieder Koalitions-, also Funktionspartei. Dazu passt, dass die Annahmen, wie man abschneiden werde, realistischer daher kommen. 7,5 Prozent waren es für die FDP in der letzten Umfrage – das könnte eben noch reichen, um „Waagscheißerle“ zu werden, wie es die mächtigen Schwaben in der Partei ausdrücken.

Eine Neuauflage der sozialliberalen Koalition – mancher, der heute in der SPD Amt und Funktion inne hat, und mancher, der in der FDP keines mehr hat, denkt an diese Zeit mit Wehmut zurück. Aufbruch sei damals gewesen, mehr Demokratie wurde gewagt, nicht nur von Willy Brandt, sondern auch von Walter Scheel und nachher von Hans-Dietrich Genscher. Nur war es damals so, dass die Sozialliberalen auf beiden Seiten neben der Gesellschaftspolitik vor allem eine Vision hatten: die Ost- und Entspannungspolitik. Genscher warb Anfang der 70er Jahre, dass es dafür eine Mehrheit geben sollte, ruhig eine sozialdemokratisch induzierte. Aber auch für eine FDP, die – angeleitet von ihrem vergleichsweise jungen Generalsekretär Flach – der jungen Generation zeigen wollte, dass in der parlamentarischen Demokratie Veränderungen ohne Revolution möglich sind.

Den letzten Punkt bedient die FDP von heute – nur fehlt es am ersten, am wichtigeren: an einer Vision. Walter Scheel, der als FDP-Chef die Wende zur SPD anführte, sprach immer davon, dass es einen „Vorrat an Gemeinsamkeiten“ geben müsse, damit eine Koalition Bestand habe. Gegenwärtig ist eher ein Vorrat an Unverträglichkeiten zwischen SPD und FDP zu erkennen. Damit ist nicht allein die Person Möllemann gemeint, sein Streit mit Michael Friedman vom Zentralrat der Juden. Nein, es sind vielmehr die Sach- und programmatischen Fragen. Die Freiburger Thesen sind lange her.

Heute will die FDP eine Steuerreform, die der SPD-Chef strikt als unfinanzierbar ablehnt, auch aus sozialen Gründen. Sie will ein Gesundheitssystem, das die Risiken privatisiert, was die SPD als entsolidarisierend empfindet. Sie schließt den Bau neuer Atomkraftwerke nicht aus, was für die SPD nach allem, was war, inakzeptabel ist. Sie will den Arbeitsmarkt so deregulieren, dass Riester sofort in Rente gehen müsste. Sie will eine Staatsquote von 35 Prozent, die von der SPD wörtlich als der „blanke Wahnsinn“ bezeichnet worden ist. Das Fazit von Franz Müntefering: „Was die FDP jetzt an Forderungen aufgestellt hat, das ist eine andere Republik.“

Rot–Gelb wäre in etwa so schwierig wie Schwarz-Grün. Die Grünen können finanzpolitisch mit den Schwarzen, aber gesellschaftspolitisch nicht. Die FDP könnte, wegen linksliberaler Einsprengsel wie mehr direkte Demokratie, gesellschaftspolitisch mit der SPD – aber auf allen anderen Feldern nicht. Und doch wird bereits spekuliert, wer welches Amt innehaben könnte. Guido Westerwelle oder Wolfgang Gerhardt statt Joschka Fischer – das zeigt das Dilemma. Fischer, der Genscher der Neuzeit, gleicht Schröders Mangel an Neigung zu politischer Metaphysik, zur Vision aus. Die Kandidaten der FDP würden diesen Mangel potenzieren. Aber begnügt sich die Partei mit einer Funktion, kann beiden Seiten vielleicht doch die Erinnerung an früher reichen. Es gibt ja nicht nur Möllemann – Genscher ist auch immer noch da.

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