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Meinung: Macht und Niedertracht

Woran Wolfgang Schäubles Präsidentschaftskandidatur auch scheiterte

Drei Buchstaben trennen die beiden Worte „gemeinsam“ und „einsam“, drei Buchstaben – und Welten. Gemeinsam wollten die Vorsitzenden von CDU, CSU und FDP sich auf eine Kandidatin oder einen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten festlegen. Am Dienstagmorgen streute die CSU, Edmund Stoiber und Angela Merkel hätten sich auf Wolfgang Schäuble verständigt. Nein, konterte die CDU-Vorsitzende wenig später, eine solche Einigung gebe es nicht. Und nachdem die beiden, 24 Stunden später, mit dem Dritten, mit Guido Westerwelle, konferiert hatten, waren sie sich einig, dass sie sich nicht geeinigt hatten. Die FDP teile nicht, sagte Merkel gestern in einer Mischung aus Festigkeit und Verlegenheit, die Präferenz der Unionsschwestern für Schäuble, was sie sehr bedauere.

Warum die Freien Demokraten Schäuble nicht mittragen wollten, bleibt im Ungefähren. Politisch stand der frühere CDU-Vorsitzende der FDP immer eher nahe. Aus den eigenen Reihen wurde ihm seine Liberalität sogar entgegengehalten. Angeblich immer noch schwebende Verdächtigungen im Zusammenhang mit Parteispenden, seine Ungeduld, sein manchmal schneidender Ton, all das ist Ausdruck diffuser Stimmungen, die man zwar für das Abstimmverhalten in der Bundesversammlung ins Kalkül nehmen muss, die aber weit von jener Konsistenz der Argumente sind, mit denen man einen Kandidaten ablehnen dürfte. Nein, der FDP hatte schlicht und einfach nicht gepasst, dass sie als widerspruchslos-zustimmungspflichtig vorgeführt werden sollte.

Angela Merkel gilt nicht unbedingt als Schäuble-Sympathisantin. Das ist kein Geheimnis. Immerhin verhinderte sie am Montag bei der Sitzung des CDU-Präsidiums eine Festlegung auf den Badener, für den sich zuvor Roland Koch und Friedrich Merz stark gemacht hatten. Das war zwar dem guten Verhältnis zu Westerwelle dienlich, brachte sie aber sowohl zu Stoiber als auch zu Koch und Merz auf Konfrontationskurs. Den mag sie, kühl wie sie ist, durchaus bewusst gesteuert haben, um die Machtverhältnisse in der CDU-Spitze deutlich zu machen. Aber die Lösung Schäuble hätte für sie und Stoiber immerhin den Vorzug gehabt, das leidige Thema vom Tisch zu bekommen. Denn eigentlich hätte Stoiber Merkel so gerne zur Kandidatin fürs Bellevue gemacht, wie sie ihn – ganz einfach, um einen lästigen Konkurrenten für die den beiden viel wichtigere Kanzlerkandidatur der Union versorgt und außer Gefecht zu wissen.

Dass Merkel die CSU öffentlich bloßstellte – indem sie die tatsächlich zwischen beiden zunächst erzielte Einigung auf Schäuble bestritt –, werden sich die Bayern merken. Gegen die CSU wird niemand Kanzlerkandidat der Union. Die Christsozialen haben gestern in Berlin so nebenbei daran erinnert, dass Merkel da bald sehr einsam werden könnte.

Wer an honorigen Persönlichkeiten von den drei Parteivorsitzenden der Kandidatur um das Amt des Bundespräsidenten nun auch für würdig befunden wird, er oder sie hat es schwer. Schäuble bleibt der Maßstab. Von Johannes Rau abgesehen hat seit 1949 kein gewählter Bundespräsident seine Amtszeit mit einem so unvergleichlichen Schatz an politischen Erfahrungen beginnen können wie den, über den Schäuble verfügt. Dass es gegen ihn keine wirklich ernst zu nehmende Begründung gegeben hat, zeigt schon ein gewisses Maß an Niedertracht und Heuchelei in diesem Geschäft. Und der größte Zynismus ist wohl der, einem durch die Attentatsfolgen in den Rollstuhl gezwungenen Menschen vorzuwerfen, er sei bitter geworden. Wie war das doch? Zwischen einsam und gemeinsam liegen drei Buchstaben. Aber manchmal auch sehr viel Verlogenheit.

Gerd Appenzeller

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