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PORTRÄT CANAN ULUFER GRÜNEN-POLITIKERIN, HAMBURG:: „Männer kriegen Kinder, Frauen eine Karriere“

Sichtbarkeit, das ist ein Wort, das sie oft gebraucht. Ein Kopf wie ihrer, verhüllt, ist sehr sichtbar.

Sichtbarkeit, das ist ein Wort, das sie oft gebraucht. Ein Kopf wie ihrer, verhüllt, ist sehr sichtbar. Und eine Menge Menschen sehen da erst mal schwarz: fromm und rückschrittlich, unterdrückt und stumm.

Nichts davon passt zu Canan Ulufer, die vor 31 Jahren als ältestes von drei Kindern türkischer Gastarbeiter in Hamburg geboren wurde, in Altkanzler Schmidts Langenhorn aufwuchs und einen Steinwurf von dessen Haus entfernt zur Schule ging. Ulufer, studierte Sozialpädagogin und Beraterin beim Diakonischen Werk in Hamburg, hat trotzdem nichts gegen diese Art Sichtbarkeit. Schließlich hofft sie, die Vorstellungen zu verändern, die sich ans Kopftuch heften.

Dazu, sagt sie, müssten aber ein paar Kopftücher ans Licht der Öffentlichkeit, unter denen unübersehbar gescheite, auskunftsfähige und selbstbewusste Köpfe steckten. Ihrer hat es spätestens an diesem Wochenende geschafft. Sie hat sich um einen Listenplatz für die nächste Hamburger Bürgerschaftswahl beworben und könnte so die erste kopftuchtragende Muslima in einem deutschen Parlament werden (die Listenwahl dauerte zu Redaktionsschluss noch an).

Studium, Politik, das war bei ihr zweiter Bildungsweg. Ulufer durfte wie andere türkische Mitschüler nach der vierten Klasse nicht aufs Gymnasium. „Die institutionelle Diskriminierung, die in den 80ern üblich war“, sagt sie. Realschule wäre gegangen, sie nahm gleich die Hauptschule. „Dort waren die meisten meiner Freunde, ich bin mitgegangen. Ich wusste, dass man sich gegen bestimmte Dinge nur wehren kann, wenn man nicht allein ist.“

Bei Hamburgs Grün-Alternativer Liste (GAL), deren Mitglied sie seit sechs Jahren ist – „gefühlt bin ich es seit 19 Jahren“ – beackerte sie, heute Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Migration und Flucht, vor allem Felder, die dieser Lebenserfahrung entsprachen, von Homophobie über Antisemitismus bis zu Frauenfragen. Auch da geht es heute viel ums Kopftuch. Wenn etwa Feministinnen finden, die Grünen übertrieben es mit der Toleranz: „Wir Grünen streiten nicht für das Kopftuch, sondern für das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Gegen einen Zwang zum Kopftuch wäre ich als Erste auf der Straße.“

Ihre Eltern, „bewusste, aber ganz normale Muslime“, seien dagegen gewesen, als sie sich mit 14 Jahren fürs Kopftuch entschied – als bis heute Einzige in der Verwandtschaft. Heirat, Kinder? Nichts da. Die beiden jüngeren Brüder sind zwar schon Väter, „aber bei uns kriegen die Männer Kinder und die Frauen machen Karriere“. Und die könnte Ulufer noch über ihre Heimatstadt hinaustragen. Irgendwann möchte sie auch in den Bundestag. Andrea Dernbach

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