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Martenstein träumt: Talk mit Goebbels

Unser Kolumnist Harald Martenstein schläft vor dem Fernseher ein. Als er wieder aufwacht, sitzt plötzlich Joseph Goebbels in der Talkshow von Reinhold Beckmann. Es folgt ein Gespräch über Vortragshonorare, Kuscheljustiz - und die Natur des Bösen.

In letzter Zeit sehe ich im Fernsehen dauernd Filme über Erwin Rommel, über die Nazis und über andere gewalttätige junge Männer. Ich kriege es gar nicht mehr auseinander. Irgendwann bin ich eingeschlafen und als ich aufwachte, saß Joseph Goebbels im Fernsehen. Bei Reinhold Beckmann! Thema: „Natur des Bösen – kann jeder Mensch zum Mörder werden?“.

Goebbels wirkte immer noch eloquent, charmant und intelligent, aber auch zerknirscht. Ein guter Schauspieler ist er ja schon damals gewesen. Ich dachte, das ist der Scoop des Jahrhunderts, und ich hätte beinahe nichts davon mitgekriegt. Für seine Vorträge, dachte ich, kann Goebbels verlangen, was er will. Das wurde er dann auch prompt gefragt. Goebbels sagte, dass er 100.000 Euro pro Vortrag nimmt, aber er spendet alles an Organisationen von Naziopfern. Punktsieg für ihn.

Die nächste Frage hieß: Waren Sie in der Lage, Empathie für die ermordeten Juden zu empfinden, oder ist Ihnen persönlich das eher schwergefallen? Goebels sagte, dass er in einer Art Rausch gewesen sei, er könne das alles heute überhaupt nicht mehr nachvollziehen.

Auf die Frage, ob es nach dem Krieg zu viel Kuscheljustiz in Bezug auf die Nazis gegeben habe, meinte er, na ja, einerseits vielleicht schon, aber andererseits sei Wegsperren keine Lösung. Das wisse man heute. Im Gefängnis hätten eingesperrte Nazis andere Häftlinge ideologisch verführen können, insofern sei es sogar gut, dass die meisten von ihnen nicht ins Gefängnis kamen, sondern eine zweite Chance kriegten. Ihre zweite Chance haben sie dann auch genutzt, einen weiteren Krieg haben sie jedenfalls nicht mehr angefangen.

Nächste Frage: Woher kam bei den Nazis diese Brutalität? Goebbels sagte, dass es viel Arbeitslosigkeit gab damals. Er selber war auch arbeitslos. Niemand hat ihm eine Perspektive geboten. Ganz Deutschland war Niedriglohngebiet. Außerdem sei er behindert. Dann hat Goebbels seine Hose hochgekrempelt und sein behindertes Bein gezeigt, das war ein bisschen peinlich.

Goebbels meinte außerdem, dass viele Deutsche sich damals gedemütigt gefühlt hätten, in ihrer Ehre gekränkt, wegen des Friedensvertrags von Versailles, der eine echte Sauerei gewesen sei. Das wisse heute jeder. Wenn es damals mehr Geld für Sozialprogramme gegeben hätte, Streetworker, Jugendhäuser und das alles, wären die jungen Männer bestimmt nicht zur SA gegangen. Die Gesellschaft habe versagt. Er selbst engagiert sich inzwischen sehr für die Aussöhnung. Allerdings hat er die ganze Zeit, mit Blicken, eine junge Sozialphilosophin angebaggert, die neben ihm saß. Damit hat er den guten Gesamteindruck dann doch ein bisschen beschädigt, Natur des Bösen, so ganz kann er halt doch nicht aus seiner Haut.

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