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Meinung: Matthies meint: Reim muss seim

Das neue Jahr rückt / Das alte ins Licht / Vieles ist anders / Doch so viel auch nicht. Puuhh.

Das neue Jahr rückt / Das alte ins Licht / Vieles ist anders / Doch so viel auch nicht. Puuhh. Glück gehabt. Gedichte schreiben kann man nach dem 11. September also noch. Die vielen Verse zur Jahreswende lassen sogar hoffen, dass 2002 Großes folgt. Den Anfang machte Osama bin Laden. Ins Deutsche unübersetzt blieben Gott sei Dank die satanischen Verse, die der Dichter-Terrorist seinem letzten Videobeitrag angefügt hatte. Seine Lyrik wäre vermutlich letzter Beweis seiner Gewissenlosigkeit. Dabei ist Gewissen so etwas wie die Ursuppe aller Dichtung. Rolf Hochhuth, auch einer der nachdiensttäglichen Dichter, könnte das bestätigen. Er fasste das Wirtschaftsleben 2001 in seinem Jahresbilanzgedicht im Tagesspiegel zusammen: "Aktien steigen, wenn Arbeitnehmer fallen." Der Lyriker bin Laden hätte dies in solcher einfühlenden Radikalität nicht einmal denken geschweige denn in Reime fassen können. Das neue Dichterjahr wendet sich jedoch von Politik und Business ab und dem Menschlichen zu. Japans Kaiser Akihito hat diesen Trend gesetzt. Eines seiner traditionellen Waka-Poeme zum Neujahrstag besteht weitgehend aus dieser Beobachtung: "In der Stadt Kabul / Geht von den Leuten / Eine große Freude aus". Das Wort will Materie werden und sonst nichts, hätte Deutschlands Vor-Dichter Durs Grünbein dazu gesagt. 2002 wollen wir die Materie nur noch in Versen.

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