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Meinung: Mehr Macht dem Nachwuchs

Familienpolitik ist Wirtschaftspolitik – denn Kinder entscheiden über unseren Wohlstand / Von Ludwig Georg Braun

Kinder an die Macht – so weit geht der Antrag der FDPBundestagsabgeordneten Hermann Otto Solms und Klaus Haupt zwar nicht, aber sie fordern das Wahlrecht von Geburt an. Bis zum 18. Lebensjahr soll es treuhänderisch von den Eltern wahrgenommen werden. Unterstützung erfahren sie dabei etwa von Rainer Eppelmann, Wolfgang Thierse, Antje Vollmer und Familienministerin Renate Schmidt. Eines zeigt der Schulterschluss: Es muss etwas getan werden für die Familien in Deutschland.

Der Vorschlag, dazu beim Stimmrecht anzusetzen, hat einen gewissen Charme. Ein Blick auf die Wählerstruktur unseres Landes zeigt: Etwa 55 Prozent der Wahlberechtigten sind heute schon älter als 45 Jahre und ihr Anteil steigt kontinuierlich. Darüber hinaus wächst auch die Zahl der Single-Haushalte und der Lebensgemeinschaften ohne Kinder. In diesem Kräfteverhältnis fällt es Familien immer schwerer, sich Gehör für ihre Belange zu verschaffen. Diese Problematik wird noch verschärft, denn Familien sind längst keine einheitliche soziale Gruppe mehr und ihre Interessen deshalb nicht so homogen wie weithin angenommen. Gleichwohl sind Familieninteressen auch aus Sicht der Wirtschaft von fundamentaler Bedeutung: Wirtschaft und Unternehmen leben von gut ausgebildetem Nachwuchs. Das Fundament dazu wird in den Familien gelegt. Der Standort Deutschland kann nur so gut sein, wie es der Nachwuchs ist, den er hervorbringt. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass eine erfolgreiche Personalpolitik auch die familiäre Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu berücksichtigen hat. Familienfreundliche Maßnahmen werden als Instrument zur Personalrekrutierung eingesetzt – in konjunkturell schwierigen Zeiten allerdings mit geringerer Intensität als bei höherem Einstellungsbedarf.

Dabei muss eine familienbewusste Personalpolitik nicht zwangsläufig mit hohen Investitionen verbunden sein. Anstelle des kostenintensiven Betriebskindergartens sind es auch Maßnahmen wie die Vermittlung von Tagesmüttern, der Erwerb von Belegplätzen bis hin zur Organisation einer Kinderbetreuung in Notsituationen und der Einrichtung von Eltern-Kind-Zimmern, die eine Entlastung der Eltern bringen. Allerdings können alle diese betrieblichen Maßnahmen nur Begleitprozesse sein. Viel wichtiger ist, dass Deutschland sich insgesamt zu einem Land wandelt, in dem Kinder und Familien wieder willkommen sind.

Dass wir hiervon noch weit entfernt sind, zeigt sich an den demografischen Daten: Deutschland hat nach Italien und Spanien die niedrigste Geburtenrate der Welt. Besonders selten ist der Nachwuchs bei gut ausgebildeten jungen Frauen: 39 Prozent der bis zu 39-jährigen Akademikerinnen haben keine Kinder. Grund sind die oft unzureichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Nur eine Gesellschaft, die in flexible und qualifizierte Betreuungsangebote für Kinder investiert, wird ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit behaupten können. Um diesen Interessen verstärkt Ausdruck zu verleihen, wäre ein Wahlrecht für Familien ein durchaus interessanter Lösungsweg. Allerdings ergeben sich hiermit doch einige Umsetzungsschwierigkeiten: Zunächst müsste hierfür das Grundgesetz mit einer Zweidrittelmehrheit geändert werden.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob Eltern immer im Sinne ihrer Kinder wählen. Vor allem bei älteren Kindern und Jugendlichen ist es keine Seltenheit, dass der politische Wille von dem der Eltern abweicht. Unter dem Strich scheint es mir daher vernünftig, beim Grundsatz des „one man, one vote“ zu bleiben. Eher vorstellbar wäre gegebenenfalls eine stärkere Beteiligung von Familien auf kommunaler Ebene, vielleicht durch eine Form von „Familienbegehren“.

Eines dürfte unstrittig sein: Wenn also Kinder schon nicht (ab)stimmen können, dann muss das Ziel der Politik sein, auf die Kinderstimmen im Land stärker zu hören!

Der Autor ist Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Foto: phalanx

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