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Michael Schumacher sucht die Öffentlichkeit nicht. Nach seiner Sportlerkarriere privatisierte er.

© dpa

Michael Schumacher und Co: Mehr Respekt, bitte!

Die deutsche Öffentlichkeit ist wankelmütig in ihrer Zuneigung zu und ihrer Ablehnung von Sportstars. Doch wer deren Risiko als Spektakel schätzt, der sollte Respekt haben vor der Inspiration, die von ihnen ausgeht.

Ich bin kein Star, holt mich da raus. Raus aus meinem Leben, das gegen alle Widrigkeiten des Lebens versichert worden ist. Die Risikovermeidung als das höchste Gut zu einem hohen Preis: Langeweile, Durchschnittlichkeit, Adrenalin nur in geringen Dosen. Wie willkommen war und ist es da, dass Michael Schumacher, Boris Becker und Uli Hoeneß diesen Lebensweg nicht gegangen sind. Sie sind abgewichen und sind mit ihren Abweichungen zu großen Stars aufgestiegen. Schumacher ist zu sieben Formel-1-Weltmeisterschaften gerast, Becker hat sich zu drei Siegen im Tennis-Turnier von Wimbledon gehechtet, Hoeneß hat den FC Bayern München zum erfolgreichsten Fußballklub in Deutschland gemanagt.

Alle drei kamen aus einfachen Verhältnissen, ihren Ruhm verdanken sie keinem Erbe, keiner Protektion und keiner Standeszugehörigkeit. Mit zum Können gereiftem Talent, mit riesigem Ehrgeiz, überdurchschnittlichem Siegeswillen, mit Ecken und Kanten haben sie geschafft, wovon andere – vielleicht – träumen. Erreicht haben sie das nicht im stillen Kämmerlein, sondern in der Arena der medialen Öffentlichkeit. Großer, gewinnbringender Sport braucht große, gewinnbringende Aufmerksamkeit. Erst Millionen Zuschauer bringen Millionen-Einnahmen. Immer begleitet vom Risiko der Niederlage, von dem eminent gefährlichen Moment, wo die Ahs umschlagen dürfen in Buhs. Endlich ist der Star gefallen, jener bewunderte Stellvertreter für selbst nie eingegangenes Risiko. Wer mit der Öffentlichkeit rauffährt, fährt mit ihr auch wieder runter.

Was schon in der aktiven Phase den eigenen Ruhm gefährden kann, das wird in der nächsten Phase akut. Das Leben eines Stars geht über die aktive Phase hinaus, in eine Phase, auf die sich keiner so professionell vorbereiten konnte wie auf seinen Sport. Und schon kann es zu gefährlichen Abstürzen kommen. Uli Hoeneß, der sich als „Sozialamt“ mit angeschlossener Fußballabteilung präsentierte, steht heute da als Zocker und – viel schlimmer – als Steuerhinterzieher. Wenn es etwas gibt wie ein Image-Ranking, dann hält der Manager den letzten Platz.

Es war schwer, sehr schwer, dort Boris Becker zu verdrängen. Nach seiner Tenniskarriere ist dem Heroen schier alles misslungen, im Privatleben wie in beruflichen Dingen. Becker gab sich nur noch eine Aufgabe: Boris Becker zu sein. In jeder Öffentlichkeit, die bereit war, dafür zu bezahlen. Boris Becker als Beruf hat den Ruf des Helden ruiniert. Mit seinem Fernsehshow- Auftritt bei Oliver Pocher war er da, wo er in den Augen der Öffentlichkeit bestimmt niemals sein wollte: ganz unten, obdachlos und orientierungslos.

Und dann dieser sagenhafte Return: Der Weltklassespieler Novak Djokovic engagiert Becker als Trainer. Und sogleich schießt die Bewunderungskurve nach oben. Boris Becker ist wieder auf dem Platz, in seinem Metier – gewinnt Djokovic Wimbledon, gewinnt Becker mit. Auch das ist der Preis fürs Star-Dasein: Es gibt nur oben.

Michael Schumacher hat – anders als Becker und Hoeneß – die Öffentlichkeit nie gesucht. Auftritte vor Kamera und Mikrofon waren ihm ein Graus. Und doch verbindet ihn mit anderen Sport-Stars: das Risiko, der Adrenalinkitzel. Hoeneß zockte an der Börse, Becker mit seinem Image.

Michael Schumacher trat vom Rücktritt zurück und fuhr erneut Formel 1. Danach privatisierte er sein Risiko, er stieg aufs Motorrad, sprang mit dem Fallschirm, lernte Kunstfliegen. Immer Geschwindigkeit, immer Tempo, immer Rausch, immer Artistik. Nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sondern fürs Ego. Dann der schreckliche Unfall. Nach jetzigem Kenntnisstand hat er mit seinem Sturz nicht für ein Hochgeschwindigkeits-Leben bezahlt. Das Risiko, das er eingegangen ist, gehen Millionen Skifahrer ein, dafür muss man kein rasender Rennfahrer gewesen sein.

Als der ist er von seinen Fans bewundert und bei seiner Konkurrenz gefürchtet gewesen. Entsprechend ambivalent war das allgemeine Urteil. Bis auf ein paar Verwirrte wünscht jetzt aber jeder Michael Schumacher den Sieg auf der Intensivstation und baldige Genesung. Weil das Schicksal zugeschlagen hat, weil sich das jeder in dieser Situation selbst wünschen würde.

Becker, Hoeneß, Schumacher: Die Öffentlichkeit ist wankelmütig in ihrer aufspringenden Zuneigung zu und in ihrer rasanten Ablehnung von Stars. Mit massiver Hilfe von Medienprofis suchen viele von ihnen ihr Erscheinungsbild zu optimieren. Kein Schatten soll aufs leuchtende (Vor-)Bild fallen. Das geht fast immer schief. Leben ist keine Planwirtschaft. Selbst beim hochversicherten Durchschnittsmenschen nicht.

Wer sich in Gefahr begibt, so heißt es in der Bibel, kommt darin um. Heute heißt das: Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, der kann darin umkommen. Das ist das unwägbare Risiko für die Risikobereiten in der Gesellschaft. Makaber aber wird es, wenn nur das Schicksal die Meinungsfahne in die eine Richtung der Anteilnahme wehen lässt. Wer andere auffordert, für das eigene Spektakel ins Risiko zu gehen, der muss wenigstens Respekt haben vor der Inspiration, die von einem Boris Becker, einem Uli Hoeneß und einem Michael Schumacher ausgeht.

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