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Meinung: „Meiner Meinung ...

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... nach macht dieses neue Paradigma die strikten Grenzen der Genfer Konvention bei der Befragung feindlicher Gefangener obsolet.“

Sie ist klug, schroff und schräg. Maureen Dowd führt eine der spitzesten Federn im amerikanischen Journalismus. Ihre Kolumnen in der „New York Times“ sind Kult. Am Donnerstag knöpfte sie sich Alberto Gonzales vor. Der 49-Jährige war bislang Rechtsberater des Weißen Hauses. Nun soll er John Ashcroft nachfolgen, der als Justizminister zurückgetreten war. Welchen Titel verpasst Maureen Dowd dem neuen Kabinettsmitglied in spe? Sie nennt ihn „Torture Guy“, den Foltertypen.

Das hat eine Vorgeschichte, die Gonzales noch einige Zeit um die Ohren gehauen werden dürfte. Denn er war es, der das berühmt-berüchtigte Memorandum verfasst hatte, das im Zusammenhang mit der Folteraffäre im irakischen Gefängnis Abu Ghraib ans Licht kam. Den Entwurf hatte Gonzales im Frühjahr 2002 geschrieben. Das Schlüsselwort darin heißt „obsolet“. Der Krieg gegen den Terror sei ein neuartiger Krieg, urteilte der langjährige Freund von George W. Bush, in dem alte Paradigmen nicht mehr gültig seien. Dazu zählten die strikten Bestimmungen der Genfer Konvention zur Befragung von Kriegsgefangenen.

Dieses Memorandum habe internationale Normen aufgeweicht und zu den Menschenrechtsverletzungen in Guantanamo und Abu Ghraib beigetragen, sagen die Kritiker von Gonzales. Ob das stimmt, ist strittig. Die Frage, wer das Memorandum überhaupt kannte, bleibt ungeklärt. Deshalb dürfte daran auch kaum die Bestätigung durch den Kongress scheitern. Die Demokraten werden ihm in den Anhörungen ein paar harte Stunden bereiten, aber keine Felsbrocken in den Weg legen. Genehmer als Ashcroft ist er ihnen allemal.

Mit Gonzales wird zum ersten Mal ein Latino Justizminister. Er stammt aus einer armen Familie, die aus Mexiko nach Texas eingewandert war. Er wächst, mit sieben Geschwistern, in einem Haushalt ohne Telefon und fließend heißem Wasser auf. Der Vater ist Alkoholiker. Als Einziger aus der Familie besucht Alberto das College, er rackert sich nach oben, studiert Rechtswissenschaften in Harvard, wird von Gouverneur Bush gar zum Mitglied des Obersten Gerichts von Texas ernannt. Seitdem nennt Bush ihn liebevoll „mi abogado“ – meinen Anwalt.

Ashcroft wurde von Konservativen und Puritanern geliebt. Der moderate Katholik Gonzales ist bei dieser Klientel verdächtig. Er hat schon Abtreibungen befürwortet, sich für das Quotensystem eingesetzt, durch das Minderheiten bevorzugt werden, lag mit Ashcroft über Kreuz, als der das Recht auf Waffenbesitz sehr weitgehend auslegte. Gonzales mag hart sein, wenn es um den Antiterrorkampf geht – er hat auch den umstrittenen Patriot Act mitverfasst. Doch in sozialen und moralischen Fragen ist er erfrischend undogmatisch. „Bitte, gib mir eine Chance, mich zu beweisen“ – das sei das Gebet vieler Hispanics, sagte er nach seiner Ernennung. Diese Chance hat er jetzt.

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