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Meinung: Ist Josef der neue Mann?

Er spielt in der Weihnachtsgeschichte nicht die Hauptrolle. Überhaupt erfährt man nur wenig von ihm. Er ist Zimmermann und versorgt seine schwangere Frau, obwohl das Kind von einem anderen ist. Fünf Tagesspiegel-Autorinnen beantworten die Frage: Ist Josef der neue Mann?

Er ist ein Bild von einem „neuen Mann“, das Urbild geradezu. Im Guten – einfühlsam, verlässlich, ein engagierter sozialer Vater – wie im weniger Vorteilhaften: Meist sehen wir Josef ein wenig verloren hinter der Krippe stehen, halb in der Kulisse, so als sei er zwar besten Willens, auch im Kinderzimmer mit anzupacken, aber leider überflüssig, weil Mama, deren weiter Mantel ihn auf Abstand hält, sich als die Berufenere sieht. Und auch einem frühen, inzwischen kassierten Dogma der neuen Frauenbewegung, demzufolge Penetration im Grunde sexuelle Gewalt ist, scheint der Heilige in seiner Ehe mit der Gottesmutter ganz ohne feministische Nachhilfe streng gefolgt zu sein. Immerhin ist die Liebe ohne Sex nach ihm benannt, die Josefsehe. So ist auch Josefs Dilemma das des „neuen Mannes“: Ein Softie ohne Sex-Appeal, den die Evangelisten rasch und mitleidlos entsorgen – nach Jesu 12. Geburtstag taucht er im neuen Testament nicht mehr auf.

Gut möglich allerdings, dass dem historischen Josef da Unrecht geschehen ist. Dem Marien- und Jungfrauenkult der Kirche stand dieser Ehemann jedenfalls unübersehbar im Wege. Immerhin ist bei den Evangelisten Matthäus und Markus von Geschwistern Jesu die Rede, und für deren Zeugung wird der Heilige Geist nicht mehr bemüht. Sollte etwa Josef? Sowieso war er wohl kaum der milde Alte, als den ihn uns die Hergottschnitzer verkaufen. Als Heiratsalter empfahlen die Rabbiner zu seiner Zeit für Männer das 13. bis 19. Lebensjahr, und es ist kaum anzunehmen, dass ausgerechnet der rechtgläubige Josef sich erst mit achtzig verheiratet hätte. Raffael hat entsprechend in seinem Josefsporträt von 1504 den frommen Greis durch einen Jüngeren ersetzt. Sagen wir’s 500 Jahre später so: Josef könnte durchaus der neue Mann gewesen sein, den Frauen wünschen: sensibel, mutig, zuverlässig wie Pünktchens Anton. Und zugleich so sexy wie George Clooney. Andrea Dernbach

Wenn Josef der neue Mann ist, dann sollten sich die Männer schon einmal auf die schrittweise Abschaffung ihres Geschlechts einstellen. Anfangen wird es mit sexueller Deprivation, Maria hat sich Josef nicht hingegeben, dafür aber einem anderen, und mit dem war es offenbar so gut, dass sie danach die Englein singen hörte und von einer höheren Macht, dem Heiligen Geist, sprach. Doch wie das so ist mit einer bestimmten Sorte Mensch, er war danach schnell weg und überließ es Josef, dem treudoofen Josef, sich um das Kind zu kümmern. Wahrscheinlich hat Maria dem anderen dennoch hinterhergesehnsüchtelt, nachts „Oh Gott“ geseufzt, während Josef das Stroh umschichtete, auf dem sie lag. Das also sind die Aussichten für die Josefsmänner, auch Dankbarkeit sollten sie nicht erwarten.

Ziehsohn Jesus hat Josef den Einsatz nicht gedankt. „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein“, sagt er, als er erwachsen ist, ganz klar eine Spitze gegen Josef. Den leiblichen Vater dagegen wird Jesus anbeten und verehren.

Und noch immer haut Josef nicht auf den sicherlich selbst gebauten Tisch und schlägt mal Krach, stattdessen verschwindet er, als habe es ihn nie gegeben, noch nicht einmal sein Tod wird in der Bibel erwähnt, eines Tages ist er einfach nicht mehr da.

Wenn das nun mit allen Männern passieren wird, wenn es nur noch Josefs gibt, die keine Spuren hinterlassen, wer wird dann die Kinder zeugen, fragt man sich. Vielleicht ist das Marias süßes Geheimnis – im Hebräischen zumindest heißt der Heilige Geist Ruach und ist weiblich. Verena Friederike Hasel

Zunächst ein paar Worte über uns, die Frauen der Gegenwart. Wir sind der Superlativ mit Brüsten – nie waren wir freier, selbstbestimmter, durchsetzungsfähiger und erfolgreicher als heute. Die Liste unserer Errungenschaften ist lang, deshalb nur ein Auszug: die Chancengleichheit, die Frauenquote, wir machen Karriere, ziehen in den Krieg, sind Fußballweltmeister – und Bundeskanzler sind wir auch. Zugegeben, noch sind wir in den Vorstandsetagen unterrepräsentiert und verdienen für die gleiche Arbeit weniger Geld als unsere männlichen Kollegen. Doch das wird sich ändern: Die Mehrheit der 17- bis 29-jährigen Frauen ist überzeugt, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sie die Männer im Beruf überholt haben. Und jede vierte Schülerin von heute will eine Führungskraft von morgen werden.

Was also wollen Frauen wie wir mit einem wie Josef? Einem gehörnten Ehemann, einem wortkargen Träumer, einem schlichten Erfüllungsgehilfen – kurz, mit einem Mann, der sich in der Nebenrolle eingerichtet hat. Der so unscheinbar gewesen muss, dass ihn die Evangelisten gar nicht erst zu Wort kommen lassen. Wie bitteschön soll so ein Mann neben uns Superweibern bestehen können?

Nun ist die Weihnachtszeit eine besinnliche. Halten wir also einen Moment inne und blicken hinter unser Höher-Schneller-Weiter. Unabhängig zu sein, ist oft mühsam. Alle Möglichkeiten nicht nur zu haben, sondern sie auch nutzen zu wollen, ist anstrengend. Gerne würden wir auch mal unsere Schwächen zeigen können, ohne Angst haben zu müssen, deswegen gleich als schwach zu gelten.

Josef ist ein Mann für den zweiten Blick. Ein Mann der zweifelt, aber nicht verzweifelt. Als er von Marias Schwangerschaft erfährt, hadert er, „gedachte sie heimlich zu verlassen“, wie es in der Bibel heißt. Hätte er es getan, Maria wäre womöglich als Ehebrecherin gesteinigt worden. Doch Josef entscheidet sich für seine Frau und das fremde Kind, aus Liebe. Gottes Werk – ohne Josefs Beitrag wäre wohl nichts draus geworden.

Josef ist ein Mann, der träumen und handeln kann. Mehrmals erscheint Josef ein Engel im Schlaf, der ihm Anweisungen gibt. Josef handelt danach, nicht aus Gehorsam, sondern aus Selbstvertrauen – er traut sich selbst und seinen Gefühlen. Josef ist ein Mann, der sich selbst zurücknimmt, ohne sich aufzugeben. Der die Größe hat, das Kind eines anderen als sein eigenes anzunehmen. Jesus hätte sich kaum so bedingungslos in den Dienst der Nächstenliebe stellen können, hätte er nicht von seinen Nächsten, seinen Eltern, bedingungslose Liebe erfahren.

Und Josef ist ein Mann, der die Stärke hat auszuhalten, dass sein Nebenbuhler Gott ist.

Bei einem solchen Mann, da könnten wir schwach werden. Dagmar Rosenfeld

Auch Männer haben ihre Tage. An einem davon ereilte diverse Mitarbeiterinnen dieser Zeitung eine Rundmail der Jungs von der Meinungsseite, mit der Bitte um einen Beitrag zur Josefs-Frage. Herrschaftszeiten, ist das euer Ernst? Wenn es um Familie, Schule, Bildung, Spätabtreibung, Alleinerziehende und Jesusmariajosef-Patchworkkonstellationen geht, sind hier im Hause die Frauen zuständig. Gott, ist das peinlich. Jaha, die Herren Kollegen sind schließlich über alle Ohren damit beschäftigt, die Welt zu erklären, da bleibt für das bisschen Haushalt beim besten Willen keine Zeit.

Man stelle sich vor, es geht um den Irak oder die Energiewirtschaft oder die Kanzlerin oder die jüngste Steinmeierei, und ausschließlich Kommentatorinnen werden zu Wort gebeten. Halleluja! Apropos Merkel: Josef, der Statist im Hintergrund hinter der Gottes-, äh, Mutter der Nation, das ist doch ein uralter Hut. Genau wie die Geschichte vom schüchternen Zimmermann aus Nazareth, diesem unverheirateten, nichtleiblichen, fürsorglichen biblischen Stief-, Zieh- und Adoptivvater.

Der kochende Heilige und Fluchthelfer (nach Ägypten): feministische Theologie, Männergruppen, Exilforschung, die Seventies, die Achtziger, seufz. Schön war die Zeit, schön, dass sie vorbei ist. Bisher galt: Solange Frauen beim Friseur mehr bezahlen (und weniger verdienen), ist die Welt nicht in Ordnung. Jetzt wird ein Bumerang daraus: Gott, ist das peinlich, wenn sich hier ausgerechnet eine Frau echauffiert. Put the blame on dad, Babe. Ist Josef der neue Mann? Wäre er es, würde ihm die Frage nie in den Sinn kommen. Christiane Peitz

Es irrt, wer Josef für einen Mann hält, der nur als Ziehvater eine öffentliche Karriere machte. Der gelernte tekton, also Bauhandwerker, ist der Schutzpatron der Zimmerleute und der Arbeiter überhaupt. Eine Lichtgestalt, mit deren Hilfe die katholische Kirche sich einen Platz in der alten sozialen Bewegung der Industriegesellschaft verschaffen konnte. Ungezählt, die vielen Josefs und Josephs in den katholischen Arbeiterfamilien des Ruhrgebiets. Kein Zufall, dass im 20. Jahrhundert nur Maria mehr neue katholische Kirchen geweiht wurden als dem Zimmermann aus Nazareth. Taugt dieser Josef der Frauenbewegung als Männerbild, der Patchwork-Familie als Neuer Vater – oder doch nur als Trostheiliger für eine vollständig verunsicherte Männerwelt?

Wie kein anderer verkörpert Josef seit jeher den Gedanken, dass man auch im Schatten einer Frau ein nicht gänzlich sinnloses Leben verbringen kann. Doch sein Potenzial für das 21. Jahrhundert reicht darüber hinaus. Josefs Laufbahn als Modernisierer hat bereits in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts begonnen, als Papst Johannes XXIII. ihn zum besonderen Schutzpatron des Zweiten Vatikanischen Konzils erwählte (natürlich neben Maria), das die Gläubigen ja, etwas salopp gesagt, von den Dogmen befreien sollte, die eine beschränkte menschliche Ausdrucksweise den ewigen Wahrheiten aufzudrücken geneigt ist.

Das Verhältnis zwischen Mann und Frau fällt eindeutig in diesen Bereich dieses Ewigwahren und deshalb nie ganz Verstehbaren, das gerade deshalb Menschen unaufhörlich dazu verleitet, ihm durch Leitbilder und Regeln auf die Spur zu kommen. Das muss natürlich missglücken, auch wenn sich manches Dogma lange hält. Das Patriarchat zum Beispiel ist trotz jahrtausendelanger Herrschaft am Ende kläglich gescheitert. Es wäre ganz im Geiste des 2. Konzils und seines Schutzpatrons, dem Scheitern eines etwaigen Matriarchats schon jetzt ins Auge zu sehen. Ja, der heilige Josef verkörpert den bescheidenen (Zieh-)Vater im Hintergrund, mithin das offizielle Männerbild der emanzipierten Frau. Doch eben auch den anderen Mann, den wir uns wirklich wünschen und dem wir zurufen: Heb den Dachbalken hoch, Zimmermann! Tissy Bruns

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