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Meinung: Meister des Fragens

Zu Albert Einsteins 125. Geburtstag

Albert Einstein ist zweifelsohne der berühmteste Wissenschaftler des vergangenen Jahrhunderts. Und doch war er Zeit seines Lebens eher ein Außenseiter seiner Zunft. Eine Randfigur, nicht bloß, weil er sich in sämtlichen Grenzgebieten der Physik aufhielt, dort, wo etwa die klassische Mechanik dem Elektromagnetismus begegnete, deren unterschiedliche Begrifflichkeiten Einstein zur Relativitätstheorie verband. Einstein war auch deshalb ein außergewöhnlicher Forscher, weil die Fragen, die er stellte, in vieler Hinsicht so einfach, so natürlich und so direkt waren. Wenn es je so etwas wie ein „naives Genie“ gegeben hat, dann trifft diese Bezeichnung wohl am ehesten auf ihn zu.

Das naive Fragen ist 125 Jahre nach Einsteins Geburtstag wieder ein bisschen in Mode gekommen. Nicht, dass wir selbst den mühsamen Weg in die oberen Stockwerke des Wissensgebäudes auf uns nähmen, um von dort einen Ausblick zu genießen, als ob wir auf den Schultern der viel gerühmten Riesen stünden. Wir schicken vielmehr unsere Kinder vor und bitten jene Wissenschaftler, die die oberen Etagen bewohnen, unsere Jüngsten doch einmal mit dem Fahrstuhl mit nach oben zu nehmen. Das Ganze nennt sich dann Kinder-Universität.

Am Donnerstag lud die Uni Potsdam erstmals Sechs- bis Achtjährige ein zu fragen, warum die Erde rund ist oder warum wir manchmal nur eine Sichel des Mondes sehen können. In Berlin und Tübingen, in Rom, Wien oder Oslo kamen in den vergangenen Monaten bis zu 1000 Kinder zu einzelnen Vorträgen in die Hochschulen. Wir Erwachsene lassen uns ein wenig beschämt von ihnen erzählen, was sie wieder Neues aus der Welt des Wissens mitgebracht haben. Denn die Denkweise und die Methoden der Naturwissenschaften sind selbst den „Gebildeten“ in unserer Gesellschaft oft völlig fremd.

Einstein ist nicht zuletzt deshalb bis heute so populär, weil er auch für unsereins immer wieder Brücken baute. Er rief uns dazu auf, die Fragen, die sich uns im Alltag stellen, ernst zu nehmen: „Das Schönste, was wir erleben, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht. Wer es nicht kennt und sich nicht mehr wundert, nicht mehr staunen kann, der ist sozusagen tot und sein Auge erloschen.“

Was bei ihm mit der Alltagserfahrung begann, setzte sich über die wissenschaftliche Argumentation bis hin zu neuen Theorien über Raum und Zeit fort. Einstein war geprägt von einem tiefen Glauben „an die Vernunft des Weltenbaus“ und daran, etwas davon erkennen zu können. Er verschaffte sich einen breiten Überblick über die Physik, etwa anhand von allgemein verständlichen Büchern, die er in jungen Jahren las. Das erlaubte ihm später, Verbindungen zwischen Gebieten herzustellen, die in der Forschung längst weit voneinander getrennt waren.

Seiner drängenden Neugier ließ er in Gesprächen mit Freunden und Diskussionszirkeln wie der von ihm mitbegründeten „Akademie Olympia“ freien Lauf. Im Anschluss an solche Gespräche zog er sich dann mit den offen gebliebenen Fragen eine Weile zurück. „I will a little think“, sagt er dazu in späten Jahren in drolligem Englisch. Was alles in seinem Kopf vor sich ging, wissen wir nicht. Aber Bilder und Gedankenexperimente spielten dabei eine wichtige Rolle, und er fühlte sich im Umgang mit ihnen sehr frei.

Wenn wir uns ab und an ein wenig von dieser Freiheit nehmen würden, wären die Herausforderungen der modernen Wissensgesellschaft viel leichter zu bewältigen. Der stetigen Anhäufung von Wissen, das sich in Medizin oder Technik niederschlägt, können wir auf Dauer nicht mit Schweigen begegnen, sondern nur so wie Kinder: fragend.

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