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In Bulgarien und Rumänien stehen die Roma als Minderheit häufig unter Druck.

© AFP

Migration von Roma aus Bulgarien und Rumänien: Bei der Zuwanderung werden Probleme geleugnet

In Deutschland wird seit Wochen über Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien diskutiert. In der Regel wird geleugnet, dass ein Großteil der Migranten von dort Roma sind. Mit diesem Verschweigen ist niemandem geholfen.

Fühlen auch Sie sich verschaukelt bei den Parolen zur Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien? „Wer betrügt, der fliegt“, agitiert die CSU. Grüne und SPD warnen vor Völkerhass und behaupten, es könne keine Zuwanderung in die Sozialsysteme geben, weil das im EU-Recht nicht vorgesehen sei. Beides ist Welten vom Alltag entfernt. Warum sind deutsche Politiker oft unfähig, auf menschliche und zugleich ehrliche Weise zu benennen, was tatsächlich passiert?

Nur am Rande geht es um den rumänischen Arzt und die bulgarische Krankenschwester, die in die deutschen Steuer- und Sozialkassen einzahlen. In der erdrückenden Mehrheit – in anderen EU-Staaten spricht man es offen aus – sind diese Migranten Roma. Einen Ansturm, der Deutschland überfordert, bilden sie nicht. In größerer Zahl reisen sie nach Spanien und Frankreich, wo ihre Wallfahrtsorte liegen und sie die Sprachen leichter verstehen. Brennpunkte, an denen diese Wanderung Spannungen mit Bürgern erzeugt und Kommunen vor Probleme stellt, gibt es aber auch in Berlin: in Neukölln, im Wedding, in Teilen Schönebergs und Reinickendorfs. Ist anderes zu erwarten, wenn so verschiedene Kulturen aufeinander treffen?

Roma haben sich als „fahrendes Volk“ über Jahrhunderte dem Zugriff der regionalen Obrigkeiten entzogen, haben eigene Solidar- und Erwerbssysteme für ihre Lebensweise entwickelt, lange bevor es eine EU gab, die Freizügigkeit garantierte. In Deutschland treffen sie heute auf eine Gesellschaft mit moderner Verwaltung für Sesshafte, in der der Staat vergleichsweise vieles regelt und den Behörden die Ausführung übertragen hat: Schulpflicht, Gesundheitsvorsorge, Schutz vor elterlicher Gewalt, Sozialhilfe.

Ehrgeiz begrenzt, mehr für Roma zu tun

Über all das hat die EU ein weiteres System gestülpt, in dem manche Bereiche wie der Arbeitsmarkt vergemeinschaftet sind, andere wie die Sozialsysteme nicht. Natürlich führt das zu Unklarheiten, Streit und Überforderung lokaler Ämter. Wann haben sie eine Zuwanderungsbescheinigung auszustellen, wann nicht? Davon kann abhängen, auf welche Leistungen Zuwanderer Anspruch haben. Am Ende werden EU-Gerichte entscheiden. So wachsen überall die Frustrationen. Die Menschen unten meinen, dass „die da oben“ in Berlin und Brüssel die absehbaren Probleme im Erweiterungswahn verschlafen haben. Stimmt nicht, wehren die sich. Sie verweisen auf weitsichtige Hilfsprogramme, die die Lebensverhältnisse in Bulgarien und Rumänien verbessern sollen, damit weniger Menschen aus Armut migrieren. Und auf Hilfsfonds für die Kommunen hier, damit die mit Zuwanderung besser klar kommen.

In der Praxis fehlen EU-Neumitgliedern wie Rumänien und Bulgarien jedoch die Verwaltungskapazitäten, um die zugedachten Mittel sinnvoll einzusetzen. Zudem ist dort der Ehrgeiz begrenzt, mehr für Roma zu tun; sie gelten als Bürger zweiter Klasse. Auch deutsche Roma zeigen wenig Drang, sich mit den armen Zuwanderern zu solidarisieren: aus Sorge, mit deren Problemen identifiziert zu werden. Wer mit jenen in Berlin spricht, die im Senat und den Bezirken die Probleme lösen sollen, trifft auf Kenntnis und Empathie.

Wer Angst vor Zuwanderung hat, findet Nahrung für Vorurteile

Hauptanreiz für Armutsmigranten, erklären sie, seien nicht Sozialhilfe oder Hartz IV, wie Medien oft verbreiten. Sondern: Kindergeld, das im Übrigen auch für Kinder gezahlt werde, die nicht hier leben. So bemühen sie sich, die Auszahlung an regelmäßigen Schulbesuch zu koppeln. Das helfe oft. Doch nun will die Bundesfamilienministerin dies wegen rechtlicher Bedenken untersagen. Viele Roma sind Analphabeten. Das Unterrichtsmaterial „Deutsch für Ausländer“ sei für Erstklässler und Erwachsene gut entwickelt, nicht aber für Jugendliche in einer altersgemäßen Sprache.

Roma brauchen abgewandelte Integrationskonzepte. Die übliche Hilfe für Obdachlose nehmen sie nicht an, da sie ihre Familien nicht nach Geschlechtern trennen lassen. Auch die Helfer leiden unter alltagsfernen Parolen der Politik: den scharfen Sprüchen wie dem gut gemeinten Leugnen der Probleme. Das helfe nicht. Wer Angst vor Zuwanderern habe, finde Nahrung für Vorurteile: Bettlergruppen auf dem Kudamm und vor Kirchen. Taschendiebe in der Christmette.

1885 komponierte Johann Strauss den „Zigeunerbaron“, um der damaligen Angst vor Einflüssen vom Balkan eine Welt entgegenzusetzen, in der Roma bessere Menschen waren als sesshafte Bürger. Das war Romantik. Europa wächst heute zusammen, aber nur langsam und unter Ächzen und Schmerzen. Geduld und Empathie sind jetzt erste Bürgertugend.

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