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Meinung: Minderheit als Faustpfand

Im Kosovo entlädt sich wieder die Gewalt: Das Land ist noch lange nicht versöhnt

Von Caroline Fetscher

In Serbien brennen Moscheen, im Kosovo orthodoxe Kirchen. Der Frieden in der kleinen Provinz steht auf der Kippe. Gefährdet ist dort alles, was seit fünf Jahren aufgebaut wurde. Seit Juni 1999, als die Nato-Intervention mit der Vertreibung und Ermordung von Albanern Schluss machte, gab es im Lauf der Zeit immer weniger Gewalt. Der dauerhafte Einsatz von tausenden Soldaten der internationalen Gemeinschaft, Zivilverwaltern der UN, Hilfsorganisationen und Experten hat viele Früchte getragen – nur eine nicht: Zu einem verlässlich tiefen, sozialen Frieden ist es noch nicht gekommen. Was an Spannungen unter der Oberfläche des vernarbten Landes lauerte, entlädt sich jetzt.

Ob die Gewalt orchestriert war oder einfach die Kulmination einzelner Rache- und Sühneaktionen ist noch nicht klar – und am Ende auch nicht relevant. Der Balkan, bis 1999 im Fokus der Weltpolitik, ist nach dem 11. September 2001 aus dem Visier der Strategen geraten. Appeasement gegenüber Serbiens Territorialansprüchen, Ruhe im Karton Kosovo, das waren die außenpolitischen Ziele von Javier Solana in Brüssel wie von Joschka Fischer in Berlin. Vertragt Euch, bleibt in einem Staat zusammen, so die Devise des „Versöhnungsterrors“, wie manche in der Region diese empathielose Politik tauften.

Kosovos Albaner, etwa 90 Prozent der zwei Millionen Einwohner der Provinz, sehnen sich nach Unabhängigkeit. In einer Landschaft der Massengräber und der Erinnerungen an Massendeportation sollte sich die Mehrheit der Bevölkerung an den Gedanken gewöhnen, dass sie irgendwann womöglich wieder ihre Steuern an die Mörder von gestern zahlen muss und serbische Polizei auf ihren Straßen patrouillieren darf. In der Schwebe bleiben sollte der Status der UN-verwalteten Provinz, bewusst war das jene Politik mit dem Leitmotiv „Standards vor Status“. Eines Tages, so der heimliche Hintergedanke, wird schon wieder zusammenkleben, was auseinander strebt.

So manche aus dem Kosovo zurückgekehrten UN-Mitarbeiter räumen unter vier Augen ein, wie kontraproduktiv sich diese Politik auswirkt. Offiziell sagen darf das keiner. Auf der anderen Seite, in Serbiens Hauptstadt, fühlten sich erznationalistische Politiker wie Tomislav Nikolic oder Vojislav Kostunica durch die EU-Politik ermutigt, öffentlich den Anspruch auf „ihr Amselfeld“ einzuklagen. Nach der Ermordung von Premier Zoran Djindjic wurden, begünstigt auch durch die katastrophale wirtschaftliche Lage im Land, national-chauvinistische Töne wieder lauter.

Dem Belgrader Kalkül dient die serbische Minderheit im Kosovo als Faustpfand. Serben im Kosovo sind die Geiseln destruktiver Politik, die Bauernopfer und Hauptleidtragenden. Mehr denn je wird ihr störrisches Parallelsystem ideell und finanziell von Belgrad unterstützt. Der Unmut der Kosovo-Albaner wie der Unmut der Kosovo-Serben verdankt sich also äußerem Desinteresse einerseits, akutem Interesse andererseits. Für die einen, die Außenpolitiker der EU, sind die Albaner nicht wichtig genug, für die anderen, die Belgrader Machtelite, sind die KosovoSerben willkommene Ablenkung vom innenpolitischen Chaos.

Doch abgesehen davon, dass wir zentrale Lektionen für Nachkriegspolitik lernen – was muss jetzt geschehen? Die klarsten Worte müssen fallen. Aus dem jetzigen Serbien werden die nicht kommen. Albaner mögen Pathos, sagt ein kosovo-albanischer Autor. Politiker, meint er, dürfen nicht abstrakt reden, sie müssen daran erinnern, dass die anderen genauso leiden und lachen, wie wir. Es ist an den kosovo-albanischen Verantwortlichen wie Ibrahim Rugova, gegenüber den Serben im Kosovo große, humane Worte zu sprechen. Dazu braucht einer nicht Martin Luther King zu sein.

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