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Mindestlohn: Ein Land der Briefträger

Der Mindestlohn wird Deutschland nicht ruinieren – auch nicht bei der Post. Allerdings wird er auch nicht die Probleme der "working poor" lösen.

Von Antje Sirleschtov

Ab 2008, das hat die Bundesregierung jetzt beschlossen, soll es für Briefträger in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn geben. Wohlgemerkt, nicht für alle Postmitarbeiter, nur für die Briefträger! Mal ganz davon abgesehen, dass man sich fragt, warum ausgerechnet ein Berufsstand, in dem es von Beamten nur so wimmelt, zum Fanal in Sachen Mindestlohn werden muss, stellt sich als Erstes eine ganz praktische Frage: Werden Briefausträger, die in ihren Fahrradtaschen auch Päckchen oder Werbepost transportieren, in Zukunft nur zur Hälfte Hungerlöhne verdienen?

Willkommen im Land der politischen Feigheit. Seit Jahren streiten Parteien und Tarifpartner erbittert über die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, von dem die eine Seite sagt, er verhindere Massenarmut und die andere Seite behauptet, er schaffe Massenarbeitslosigkeit. Nur den Menschen, die am unteren Rand der Gesellschaft sich und ihre Familien ernähren müssen, denen hilft das nicht. Sie lassen sich in ihrer Not entweder vom Staat jeden Monat zusätzlich zur Lohntüte die Miete bezahlen, pumpen ihre Eltern an oder treffen mit den Arbeitgebern private (heißt: schwarze) Vereinbarungen.

„Working poor“, arbeitende Arme, nennt man sie. Und das große Koalitionsversprechen von Union und SPD, ihnen in ihrer Lage zu helfen, ist bis jetzt nicht annähernd eingelöst. Was sie stattdessen sehen, ist ein SPD-Arbeitsminister, der sich nicht traut, laut zu sagen, ob er einen Mindestlohn von 6,50 Euro oder 4 Euro für angemessen hält. Und einen CSU-Wirtschaftsminister, der noch nicht mal ein Minderheitenvotum im Kabinett gegen den Post-Mindestlohn abgibt, obwohl doch jeder weiß, dass er strikt dagegen ist.

Beide zusammen haben jetzt unter dem Nicken der Kanzlerin eine Vereinbarung zur Aufnahme der Briefträger ins Entsendegesetz getroffen, die bis zur völligen Unverständlichkeit mit Kompromissen überfrachtet ist und von der wohl am Ende nur Klaus Zumwinkel, der Postchef, und Verdi profitieren. Denn sie haben es geschafft: Obwohl weit und breit kein einziger Betrieb in Sicht ist, der das Briefmonopol der Post wirksam knacken könnte, diktieren sie über ihr Lohndiktat schon mal die Preise im Briefmarkt der Zukunft. Und machen die große Koalition zum willigen Steigbügelhalter einer solchen Wettbewerbsabschottung.

Dabei wäre es hohe Zeit, sich tatsächlich um die Bedürfnisse der „working poor“ zu kümmern. Allein, weil Globalisierung und europäische Arbeitsmarktöffnung ihre Zahl immer weiter ansteigen lässt. Und weil es zu den Kernaufgaben der sozialen Gesellschaft gehört, sich um die Absicherung ihrer ärmsten Mitglieder zu kümmern, wenn es die Tarifpartner augenscheinlich nicht mehr vermögen. Ein Mindeststundenlohn, das zeigen viele Beispiele weltweit, wird das Land ökonomisch nicht ruinieren. Allerdings sollte auch niemand erwarten, dass allein ein solch gesetzlicher Mindestlohn die Probleme der „working poor“ lösen kann. Auch das lernt man dort, wo es ihn schon lange gibt.

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