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Seit dem 1.1.2015 gilt der Mindestlohn. Darauf genehmigt sich Andrea Nahles zu Jahresbeginn eine Stulle.

© dpa

Mindestlohn: Schluss mit "Geiz ist geil"

Der gesetzliche Mindestlohn ist erst der Anfang. Die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer wird in den kommenden Jahren noch stärker werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Alfons Frese

An die Arbeit. Ferien und Feiertage sind vorbei. In diesem Jahr klingt das für ein paar Millionen Arbeitnehmer besser als sonst – sie bekommen mehr Geld. Vom Mindestlohn von 8,50 Euro profitieren fast vier Millionen Menschen, in Ostdeutschland fast jeder Fünfte. Das war höchste Zeit. Der Fluch der „Geiz-ist-geil-Mentalität“, der sich in den vergangenen 20 Jahren über das Land gelegt hat, wird mithilfe des Mindestlohns verscheucht.

Die höheren Löhne müssen bezahlt werden, und schätzungsweise steigt allein wegen des Mindestlohns in diesem Jahr die Inflationsrate um 0,2 Prozent. Besonders im Gastgewerbe und im Handel arbeiten viele für kleines Geld. Diese Arbeit wird jetzt teurer – und damit auch Brötchen und Obst, das Pils in der Kneipe und die Übernachtung im Hotel. Na und?

Bislang subventioniert der Staat die billige Arbeit

Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt grundlegend verändert. Minijobs, Leiharbeit, Teilzeit und Befristungen wurden normal, die Generation Praktikum war geboren und Einkommen nach Tarif bekamen immer weniger. Am Ende dieser Deregulierungsperiode hat Deutschland einen Niedriglohnsektor mit rund sechs Millionen Menschen, die mehr schlecht als recht von ihrer Arbeit leben können und demnächst unter Altersarmut leiden. Der Staat subventioniert die Dumpinglöhne und die wenig werthaltigen Geschäftsmodelle der Arbeitgeber mit Aufstockungsbeiträgen. Das kann aber kaum die Zukunft der Exportnation sein.

Arbeit ist keine Ramschware mehr

Tatsächlich haben sich die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt inzwischen geändert: Arbeit ist keine Ramschware mehr, die Arbeitskraft wird vielmehr zum knappen Gut, das gepflegt sein will und seinen Preis hat. Dass Billigstrategien in die Sackgasse führen, ist in Ostdeutschland zu besichtigen, wo die Fachkräfte an allen Ecken und Enden fehlen, weil sie in Scharen in den besser zahlenden Westen wanderten. In den alten Ländern sind, nebenbei bemerkt, die Firmen dort am erfolgreichsten, wo es die höchsten Löhne und die kürzesten Arbeitszeiten gibt: in Baden-Württemberg und Bayern.

Dort, wo die Löhne hoch sind, geht es den Firmen trotzdem gut

Die Arbeitsbedingungen werden idealerweise von den Sozialpartnern ausgehandelt. Wenn es – wie in vielen Dienstleistungsbereichen – keine Sozialpartner gibt, weil Arbeitgeber sich keinem Verband und Arbeitnehmer sich keiner Gewerkschaft anschließen, dann springt die Politik ein und verordnet einen Mindestlohn. Das ist nicht ungefährlich, denn die jeweiligen Verbände und Gewerkschaften wissen am besten, was möglich und nötig ist. Das werden zum Beispiel die Industriegewerkschaften in den kommenden Monaten zeigen, wenn es um neue Tarife für 4,5 Millionen Metaller und Chemiebeschäftigte geht. Und dabei nicht allein um Geld, sondern auch um moderne Arbeitszeiten.

In der „atmenden Fabrik“ arbeiten die Menschen heute je nach Auftragslage kürzer oder länger. Diese Flexibilität für den Arbeitgeber (und dessen Kunden) wird nun ergänzt durch Flexibilität für den Arbeitnehmer: Junge arbeiten länger als Alte, Auszeiten für Weiterbildung, Erziehung oder Pflege werden normal. Kurzum: Die Arbeitgeber haben sich auf anspruchsvolle Arbeitnehmer einzustellen. Oder sie finden keine mehr.

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