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Meinung: Mit dem Fremden leben lernen

Uns stört an der Religionsfreiheit für Muslime, dass es nicht unsere Religion ist / Von Robert Leicht

Im Kopftuchstreit geht, wie mir scheint, einiges durcheinander, als sei schon das Tragen eines Kopftuches durch eine Lehrerin selber verfassungswidrig. In Karlsruhe ging es umgekehrt darum, ob das Verbot des Kopftuches verfassungswidrig ist. Nicht die Ausübung eines Grundrechts ist begründungspflichtig, sondern seine Einschränkung. In meinem Grundgesetz (Art. 4) finden sich keine Gründe für die Einschränkung der Religionsfreiheit: Sie ist „unverletzlich“. Auch für Beamte. Außerdem steht in Artikel 34, der Zugang zu öffentlichen Ämtern sei unabhängig vom religiösen Bekenntnis, deshalb: „Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.“ Nun einige Anläufe zur weiteren Klärung.

Erstens: Natürlich wollen wir keinerlei Agitation an der Schule – weder islamistische noch christliche noch kommunistische; nicht nur, weil der Staat auch an seinen Schulen eine Neutralitätspflicht hat, sondern schon deshalb, weil Agitation das Gegenteil von Bildung ist. Wer an der Schule agitiert, fliegt raus. Aber natürlich braucht ein Lehrer seine religiöse Orientierung nicht zu verheimlichen oder als weltanschaulicher Kastrat aufzutreten. (Das wäre übrigens dem Bildungsprozess kaum förderlich, der einen sachlichen Diskurs zwischen authentischen Personen voraussetzt.) Der Staat darf, so denke ich, im Klassenzimmer weder ein Kruzifix noch einen Halbmond aufhängen, denn er selber hat keine Religionsfreiheit. Seine Beamten aber haben sie positiv: solange sie nicht agitieren, verletzen sie niemandes negative Religionsfreiheit. Ob das Tragen eines Kopftuches Agitation darstellt, kann gegenüber einem unverletzlichen Grundrecht allenfalls im Einzelfall, aber nicht mit dem Rasenmäher entschieden werden. Deshalb war Karlsruhe ja auch so vorsichtig.

Zweitens: Gewiss ist das erzwungene Tragen des Kopftuches in islamischen Ländern ein Symbol der Zurücksetzung der Frauen. Aber bei uns trägt man so etwas, rechtlich gesehen, freiwillig. Wenn wir die muslimischen Frauen stärken wollen, sollten wir mit allen gebotenen Mitteln ihre Rechte ausbauen und gegen ihre Männer durchsetzen. Nicht aber können wir muslimische Frauen dadurch emanzipieren, dass wir ihnen ein Recht nehmen, nämlich das auf Religionsfreiheit. (Es kommt ja auch niemand auf die Idee, den Nonnen an staatlichen Schulen das freiwillige Tragen ihrer Tracht zu verbieten, nur weil katholische Männer ihnen verbieten, Priesterinnen zu werden, und damit ihre Gleichberechtigung in Frage stellen.)

Drittens: In Wirklichkeit stört uns an der Religionsfreiheit für Muslime, dass es nicht unsere Religion ist. Uns stört das Befremdliche, nicht das Religiöse. Aber das Befremdetsein hat zwei Seiten – den anderen und uns! Auch wir haben zu lernen, damit umzugehen. Im Übrigen: Wenn ein deutscher Staatsbürger mosaischen Glaubens mit einer Kippa, also dem reduzierten religiösen Kopftuch für jüdische Männer, auf dem Haupt unterrichten würde – wer würde es wagen, ihm die zu verbieten?

Die Sache ist – wie der Umgang mit der Freiheit überhaupt – nicht einfach. Aber weshalb sollten ausgerechnet liberale Zeitgenossen sie einfacher machen, als sie ist?

Der Autor ist Präsident der Evangelischen Akademie zu Berlin.

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