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Meinung: Mit kalter Hand

Wie Präsident Putin Russland verändert – und das Verhältnis zu Deutschland

Was waren das für Zeiten! Als die halbe Welt jedem Auftritt des Präsidenten entgegenbangte: Würde er, wie 1994 vor dem Roten Rathaus in Berlin, dem Dirigenten den Stab aus der Hand nehmen und selbst das Orchester dirigieren. Oder, wie 1999 im Kosovo-Streit, mit grollender Stimme drohen, die strategischen Atomraketen wieder auf Nato-Stützpunkte zu richten. Es herrschte ständige Unsicherheit, wohin Russlands Reise geht: Partnerschaft, Öffnung und Demokratisierung oder zurück zum Kalten Krieg. Die Lage war prekär. Boris Jelzin, der Michail Gorbatschows Diktatur light gestürzt hatte, aber über das größte Atomwaffenarsenal der Welt gebot, agierte hoch emotional und impulsiv. Mit Sauna-Freund Helmut Kohl war Jelzin per Du; Russland jedoch dürfe man „nur mit Sie anreden“.

Die Rückblende zeigt, was so anders an Wladimir Putin ist, den Joschka Fischer soeben besuchte und der sich in einem Monat zur Wiederwahl stellt – ohne Konkurrenz fürchten zu müssen. Es ist seine Berechenbarkeit und Gefühlskälte. Kaum vorstellbar, dass er in Berlin wodkaselig „Kalinka, Kalinka“ anstimmt. Undenkbar aber auch, dass er bei Meinungsverschiedenheiten militärisch droht.

Gestritten wird gelassen

Putin lässt offen und ausführlich mit sich reden: über das Vorgehen gegen politische Konkurrenten und unbotmäßige Medien oder die rücksichtslose Kriegsführung in Tschetschenien. Jedenfalls hinter verschlossenen Türen. Das behauptet nicht nur Außenminister Fischer auf die drängenden Fragen deutscher Medien. Das bestätigt Kollege Igor Iwanow in der kurzen Pressebegegnung: In diesen Punkten gebe es eindeutig Dissens.

Und es ist gar nicht so eindeutig zu sagen, welche Konstellation für den Westen und speziell Deutschland die bessere ist. Jelzin war bereit, sich zu bewegen, in Einzelfragen überraschend weit – was das tolerierte Ausmaß an Pluralismus in Politik und Massenmedien anlangt. Oder den riskanten Versuch, ein Autonomieabkommen mit den Rebellen in Tschetschenien zu schließen. Nur war man bei ihm vor überraschenden Schwenks nie sicher. Langer Atem war seine Sache nicht.

Mit Putin gibt es keine Überraschungen. Er hat die Dinge fest im Griff – aber mit eiserner Faust. Nicht nur im Inland. Dass die demokratischen Parteien bei der Dumawahl im Dezember nicht mehr ins Parlament gelangten, nachdem der Kreml deren Financier, den Ölmagnaten Chodorkowskij, hatte verhaften lassen, hieß ja auch: Putin meint, dieses Feigenblatt nicht mehr nötig zu haben; warum soll er so tun, als gebe es keine Wende rückwärts zum autoritären Machtmonopol? Sie zeigt doch auch seine Stärke.

Er fühlt sich unanfechtbar genug, um sich die Kritik nicht nur anzuhören, sondern mit Gegenklagen zu antworten: über die angebliche Diskriminierung der Russen in den baltischen Staaten. Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien, aber die gibt es doch auch demnächst in der EU. Im Übrigen, was solle Moskau denn machen? Den Kaukasus dem fundamentalistischen Terror als Stützpunkt überlassen unter dem naiven Etikett eines autonomen Tschetschenien?

Und er setzt noch eins drauf: Forderungen an die EU, Visaerleichterungen, höhere Importquoten für Stahl und Getreide, Zollvergünstigungen, um den angeblichen Schaden, den die Ost-Erweiterung für Moskau mit sich bringt, auszugleichen. Und mehr Geld für Kaliningrad, das ehemalige Königsberg, das am 1. Mai zur russischen Insel in der EU wird.

Auch Deutschland wird zahlen müssen, wenn es, zum Beispiel, das grüne Anliegen einer weltweiten Begrenzung der Treibhausgase nach dem Kyoto-Klimaschutzprotokoll durchsetzen will. Russland ist das Zünglein an der Machtwaage zwischen den KyotoGegnern in Amerika und den Klimaschützern in Europa. Zu teuer, heißt es resigniert nach dem Putin-Fischer-Gespräch.

Andererseits weiß man bei ihm, woran man ist. Putin gilt als verlässlich. Was er zusagt, hält er. Im internationalen Kampf gegen den Terror. Und bilateral. Es ist seine Strategie, Russland erstarken zu lassen. Die Russen finden das gut, auch wenn es auf Kosten von Demokratie, Meinungsfreiheit, Menschenrechten geht. Sie haben jetzt einen Deutschen im Kreml. Denken sie. Nur die Deutschen können sich mit dieser Art, deutsch zu sein, nicht mehr so recht identifizieren. Aber sie müssen ja auch nicht in Russland leben.

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