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Meinung: Mit Maß gegen Maßlosigkeit

Von Christoph von Marschall Hurra, es ist Wahlkampf.Endlich wird das verdächtige Beziehungsgeflecht zwischen Politikern und Lobbyisten genauer untersucht.

Von Christoph von Marschall

Hurra, es ist Wahlkampf.Endlich wird das verdächtige Beziehungsgeflecht zwischen Politikern und Lobbyisten genauer untersucht. An den Tag kommen Edelhonorare für Reden oder Buchverträge und fünfstellige Parteispenden für ein geselliges Abendessen, bei dem Wirtschaftsvertreter näher an einen Minister herankommen; man hilft sich auch schon mal mit einem vergünstigten Kredit. Selbst von unlauteren Aktientips wird berichtet. Sind Politiker maßlose Raffkes, die längst nicht zwischen öffentlichem Wohl und privatem Nutzen unterscheiden? Ist gar zu befürchten, dies seien Hinweise auf gekaufte politische Entscheidungen? Jetzt verlangen viele eine Verschärfung der Verhaltensregeln für Parlamentarier, am besten gleich den „gläsernen“ Abgeordneten.

Andererseits wurden in den Fällen Scharping und Özdemir auch Zweifel laut, ob die Verfehlungen, die zum Anlass ihrer Rücktritte wurden, nicht zu gering seien für so eine harte Konsequenz. Beide haben gegen Normen des Bundestags verstoßen, nicht Straftaten begangen. Wird der Wahlkampf zur Jagdsaison, in der es den Medien besonders leicht fällt, Politiker „abzuschießen“?

Wenn Einzelne das rechte Maß ihres öffentlichen Amtes zu verlieren scheinen, kommt es umso mehr darauf an, Maß zu halten bei der Bewertung. Abgeordnete sind keine schlechteren Menschen. Die Demokratie braucht auch keine Heiligen oder Helden, sondern Vertreter des Volkes. Es könnte sogar sein, dass sich die politische Klasse im Schnitt ein klein wenig ordentlicher aufführt – jedenfalls in dieser Hinsicht keine Negativauslese bildet –, weil jeder, der in ein öffentliches Amt gewählt ist, es hinnehmen muss, dass er unter besonderer Beobachtung steht. Das ist für viele politisch Begabte abschreckend genug, sie wählen andere Berufe.

Nach jedem Skandal wird die Forderung nach einem verschärften Reinheitsgebot in der Politik neu entdeckt. Aber diese Debatte ist alt, sie kehrt periodisch wieder. Der „gläserne Abgeordnete“ hat sich nicht etwa deshalb nicht durchgesetzt, weil eine egoistische politische Klasse das verhindert, sondern weil er, alles in allem, vermutlich mehr Nachteile als Vorteile hat. Politische Talente sollen nicht abgeschreckt werden durch rigorose Auflagen, die es in keiner anderen Branche gibt. Schon heute leiden die deutschen Parlamente unter einem Mangel an Vertretern aus dem Alltag, für den sie Gesetze machen: Wirtschaft, Handwerk, Wissenschaft, auch Kultur.

Es ist nicht entscheidend, Vermögensverhältnisse offen zu legen, sondern Abhängigkeiten, die Einfluss auf politisches Entscheiden haben könnten. Warum sollte der Inhaber einer gut gehenden Kugellager-Fabrik, der einige Jahre in die Politik geht, seine privaten Einkünfte aus diesem Besitz für alle Bürger offen legen? Das führt nur zu unfruchtbaren Neid-Debatten. Komplizierter ist es mit einem Rechtsanwalt. Auch die Höhe seines Verdienstes muss nicht allgemein bekannt werden; man wüsste nur vielleicht gerne, mit welcher Klientel er zu tun hat.

Lobbyismus, in Deutschland ein Schimpfwort, hat zwei Seiten. Politik braucht fachliche Beratung. Stammzellen, Sozialsystem, Steuerreform, Gesundheitswesen: Soll ein Abgeordneter überall Experte sein oder allein denen trauen, die die Konzepte ausarbeiten? Er muss erfahren, wie sich Vorschriften in der Praxis auswirken. Hunzinger hat dieses Beratungsprinzip freilich auf den Kopf gestellt, wenn er die Begegnung zwischen Wirtschaftslobby und Politik mit größeren Parteispenden verband.

So ist vielleicht das Beste an den Fällen Scharping und Özdemir, dass sie einige der versteckten Beziehungen und Abhängigkeiten sichtbar gemacht haben. Sie sollten allerdings kein Anlass sein, hopplahopp unter dem Druck des Wahlkampfes Vorschriften zu verschärfen. Vermutlich sind härtere Sanktionen für Verstöße gegen den Verhaltenskodex nötig. Eine Veröffentlichung der n von Sündern durch den Bundestagspräsidenten wirkt wohl nicht abschreckend genug. Aber das richtige Maß sollte der Bundestag in Ruhe debattieren – nach der Wahl.

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