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Für ihre Kleinsten scheuen Eltern keine Mühen - und keine Kosten.

© dpa

Mittelschichtkinder: Neue Eltern hat das Land

Die Deutschen bekommen weniger Kinder, geben aber mehr Geld für sie aus. Selbst bei der Bildung. Das müsste nicht so sein - wenn die Schule weniger Versuchslabor als verlässliche Institution wäre. Dann würden Eltern für pädagogische Extras womöglich sogar zahlen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Der kleine Ben ist Einzelkind. Seine Eltern gehören zur gut situierten Mittelschicht. Um die 600 Euro geben sie pro Monat für ihn aus, rund ein Fünftel ihrer Ausgaben für Wohnen, Essen und tägliches Leben. In Bens Zimmer stapelt sich das Spielzeug. Auch Oma und Opa schenken reichlich. Ben, das deutsche Mittelstandskind, wird sehr geliebt. Von seinen Eltern und Großeltern wie von den Baby- und Kinderausstattern. Denn obwohl die Geburtenrate niedrig bleibt, wächst der Markt für Kinder und Jugendliche kontinuierlich, laut Branchenverband in den vergangenen fünf Jahren von 2,3 auf 2,7 Milliarden Euro. Die Deutschen haben immer weniger Kinder. Aber in sie wird immer mehr investiert. Auch ein anderer Zusammenhang ist umgekehrt proportional: Je wichtiger die Deutschen ihre Kinder nehmen, desto unwichtiger wird für sie Bildungspolitik.

Deutschland ist Helikopter-Eltern-Land

Der Konsum ist ein Spiegel der Gesellschaft. Das deutsche Kind, wie es der Markt abbildet, ist rundum weich gebettet. Ben hat eine Baby-Wanne, die während des Badens stets die gleiche Temperatur garantiert. Seinen Schlaf überwacht eine Kamera, die ohne elektromagnetische Wellen sendet. Seine Eltern tragen ihn am Körper: je näher, desto sicherer. Sein Spielzeug regt ihn an, zu lernen, schon als Baby, motorisch, geistig, ganzheitlich. Liegen die Trendforscher der Spielzeugbranche richtig, ist Deutschland Helikopter-Eltern-Land. Das Kinder-Bekommen und Großziehen hat jede Beiläufigkeit verloren, es ist Dauer-Ausnahmezustand geworden. Die Eltern von Ben arbeiten Teilzeit, um mehr Zeit für ihn zu haben. Sie lernen „Öko-Test“ auswendig und kaufen Bibliotheken pädagogischer Ratgeber. Sie diskutieren über die Vorteile von kalt gepresstem Beikostöl und geben den letzten Cent für Musikunterricht aus. Sie überlassen nichts dem Zufall – und schon gar nicht der Politik. Politische Mängel werden privat ausgeglichen. Das ist sicherer und geht schneller.

Die Tendenz zur Privatisierung tritt in der Bildungspolitik offen zu Tage. Sie zeigt sich am Exodus aus den öffentlichen Schulen. Zwischen 2002/3 und 2012/13 stieg der Anteil der Schüler an Privatschulen laut statistischem Bundesamt um mehr als zwei Prozentpunkte auf 8,5, in Berlin von 4,7 auf 9,3 Prozent. Setzt sich dieser Trend fort, könnte die Bildungspolitik als eine Art One-Hit-Wonder in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen: einmal rasant vom Gedöns zur Regierungspriorität und zurück. Will die Bildungspolitik sich nicht selbst marginalisieren, muss sie Bens Eltern zurückgewinnen. Helikopter-Eltern wollen, dass ihr Kind gut behütet ist. Das heißt: kleine Gruppen in Kindertagesstätten und Schulen. Die einzige Ideologie dieser Eltern ist das Wohl ihrer Kinder. Sie sind daher nicht bereit, ihre Kinder für eine Idee – sei es die internationale Konkurrenzfähigkeit, sei es die Inklusion – bildungspolitischen Versuchen auszusetzen. Sie erwarten verlässliche Schulen. Dafür sind sie bereit, Geld auszugeben. Überzeugt man sie, dass sich staatliche Schulen lohnen, könnte man sie dafür gewinnen, für das ein oder andere pädagogische Extra zu zahlen. Auch wenn es bisher tabu ist: Die Politik sollte mit diesen gut verdienenden Eltern ins Gespräch kommen – über einen Beitrag nach dem Kitamodell, also nach Einkommen gestaffelt. Diese Eltern würden monatlich vielleicht 250 Euro zahlen, wenn die Kinder nachmittags in der Schule Gitarre oder Tennis spielen lernen. Alle Kinder.

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