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Mon BERLIN: Blitz und Psycho im Badezimmer

Ob man mit Badelatschen Auto fahren darf. Ob mehr als drei Eier pro Tag jesund sind. Und Ob det nächste Jewitter heute noch vor sechse kommen wird?

Ob man mit Badelatschen Auto fahren darf. Ob mehr als drei Eier pro Tag jesund sind. „Eier sind mir nischt!“, sagt Frau Brandt und zupft am Gummi ihrer Jogginghose. Ob der – wie heißt denn der neue – Shikosi? Ob Nicolas Sarkozy die Zwillinge in Polen schon getroffen hat. Die Tage ziehen vorüber, die Zeit dehnt sich ins Unendliche, manchmal eine Wolke am Himmel und ein Traktor auf der Straße. Der Lärm einer elektrischen Säge in der Ferne. Ein Hund, der bellt.

Auf der Türschwelle spalten die existenziellen Fragen die brennende Luft des brandenburgischen Sommers. Während die Stadtneurotiker in Berlin in ihrem überhitzten Kochkessel umherwanken, wartet man in einem Dorf im Oderbruch darauf, dass die Stunden vorübergehen. Von Zeit zu Zeit eine aufgeregte Regenböe. Ein Gewitter zerreißt den Himmel.

Im vorigen Jahr standen die Vogelgrippe, die Überschwemmungen, die Dürre und Angela Merkel auf der Tagesordnung unseres kleinen Parlaments, das sich auf dem Fußweg selbst gewählt hat. Dieses Jahr: Blitz und Donner. Sturm und Hagel. „Det is nich mehr normal, wa!“, tobt Herr Schultze. Er ist violett angelaufen vor Zorn. Ganz allein kämpft er gegen die globale Klimakatastrophe. Er hat seine Kaninchen in Sicherheit gebracht und für sein Auto ein Schutzdach gebaut. Bei diesem unbeständigen Wetter geht er nicht angeln. Auf dem Bildschirm in der Stube der Schultzes befragt Frank Elstner vier Prominente, die auf einem viersitzigen Sofa aufgereiht sind wie Hähnchen am Spieß. „Was soll man bei Gewitter tun?“, lautet die Quizfrage. A. Weglaufen. B. In die Hocke gehen. C. Sich auf dem Boden ausstrecken. D. Sich ins Wasser werfen. „A!“, sagt Herr Schultze. „B!“, sagt Frank Elstner. Plötzlich erscheinen große graue Flocken auf dem Bildschirm. Das Gewitter nähert sich. Adieu, du makellose graue Föhnfrisur von Frank Elstner. Adieu, ihr 60 Sender, die die Satellitenschüssel auf dem Dach in die Stube kippt. Auf ihrem Zweisitzersofa sehen die Schultzes jeden Abend das wahre Leben von der ARD.

Nachbarin Karin führt ihre beiden Hunde an der Leine. Karin ist vor Schultzes Haus stehen geblieben. Bei Gewitter wäscht Karin sich nicht. Ihre Badewanne steht direkt vor dem Fenster. Der Duschstrahl könnte einen durchreisenden Blitz anziehen. „Wenn der Blitz einschlägt …“, sagt Karin verängstigt. Ich stelle mir vor, wie Karin aufgefunden wird, nackt und tot, in ihren Duschvorhang eingewickelt. Vom Blitz erschlagen. Psycho in einem Badezimmer im Oderbruch. Auf Karins Haus steht kein Blitzableiter. Deshalb verlässt sie sich auf den nahen Kirchturm, der sie schützen soll. „Ich lege mein Schicksal in die Hände des Allmächtigen!“, sagt sie ergriffen. Herr Schultze findet, man sollte sich lieber nur auf sich selbst verlassen: „Schlafen Sie doch im Auto, wenn Sie ganz sicher sein wollen, dass Ihnen nichts passiert!“ Mit angezogenen Beinen auf dem Rücksitz schlafen und hören, wie der Hagel auf das Dach trommelt …

„Im Jahr 1981 hat ein 15-minütiger Hagelschauer Schäden von hunderten Millionen Dollar verursacht“, sagt das Radio. Herr Schultze denkt an sein Konto auf der Sparkasse im Nachbardorf. Frau Brandt sagt „Au weia“ und zupft am Gummi ihrer Jogginghose. Aus Berlin erreichen uns apokalyptische Nachrichten: überflutete Keller, überlastete Feuerwehrleute, Geysire, die aus der Kanalisation sprudeln. Wie kleine Flöße treiben Hunde- und Menschenkot über die Seen des Grunewalds. Ratten kommen aus den Kellern. Hysterie. Panik. Wir fühlen den nahen Tod. Wir stehen im Kreis auf der Schwelle und lassen die Panik hochsteigen wie Mayonnaise. „Ach, wat! Det Haus ist doch 120 Jahre alt“, sagt Herr Schultze. Und die Linde, die sich über das Haus beugt wie eine Mutter über die Wiege ihres Kindes, ist noch älter. Seit mehr als 100 Jahren ist noch nie was passiert. Wieso soll der Blitz ausgerechnet heute Nacht hier einschlagen? Warum sollte Zeus ausgerechnet das Oderbruch wählen? „In Eberswalde ist det Jewitter schon weg!“, sagt Frau Schultze und hängt ihr Handy ein. Ob det nächste Jewitter heute noch vor sechse kommen wird?

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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